Before Sunset

Fortsetzungsfilme haben es allzu oft schwer, einem Vergleich mit dem Original standzuhalten. Auch gibt es nicht viele Liebespaare im Kino, von denen man wirklich wissen will, wie es mit ihnen weitergeht.

"Before Sunset" hält dem Vergleich mit Linklaters Durchbruch "Before Sunrise" jedoch allemal stand und steht diesem in Hingabe und Leidenschaft in nichts nach. Dem Independent-Regisseur Richard Linklater ist es ein weiteres Mal gelungen, das Kinopublikum anderthalb Stunden zu verzaubern und von einem Dialog fesseln zu lassen.

Jesse (Ethan Hawke) trifft nach 9 Jahren...
Foto: Warner
Nachdem sich der Zuschauer fast eine ganze Dekade in Geduld üben musste und mit den Fragen nach dem Fortgang der hinreißenden Romanze "Before Sunrise" von 1995 allein gelassen wurde, lässt Linklater ihn nun nicht länger im Dunkeln tappen. In dem Kultfilm der Neunziger Jahre, der mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, lernen sich die beiden Hauptdarsteller, Jesse und Celine, vor rund 9 Jahren in einem Zugabteil auf der Fahrt nach Wien kennen, stellen schnell eine innere Basis fest und beschließen spontan, eine gemeinsame Nacht in der wunderschönen Donaustadt zu verbringen, bevor sich bei Einbruch der Morgendämmerung ihre Wege wieder trennen müssen.

Bei der Abschiedsszene am nächsten Morgen lässt Linklater das Motiv des vagen Rendezvous- Versprechens einfließen, welches bereits in "Die Liebe meines Lebens mit Cary Grant und Deborah Kerr" aus dem Jahre 1957 verwendet wurde. Das Wiedersehen der beiden Protagonisten verschiebt sich jedoch statt der abgesprochenen 6 Monate um ganze 9 Jahre und bringt sie erst wieder in Paris zusammen. Hier setzt "Before Sunset" ein und spiegelt den Lebensausschnitt zweier Mittdreißiger wider, die inzwischen Buchautor sowie Umweltaktivistin geworden sind und die durch das Schicksal ein zweites Mal zusammengeführt werden.

...auf Celine (Julie Delpy).
Foto: Warner
Jesse befindet sich auf einer Promotion-Tour seines neuen Romans, in dem er die Nacht in Wien aufarbeitet, in Europa und während er in einer Buchhandlung eine Lesung abhält, steht plötzlich Celine vor ihm. Nachdem die Wiedersehensfreude die anfängliche Unsicherheit ablöst, wechseln schließlich auch die tiefgründigen, selbstreflexiven Themen das oberflächliche Geplänkel ab und man dringt zum Kern der Realität vor. Beide stellen sich gegenseitig ihr eigenes Lebensdesign vor und hinterfragen ihre jeweilige Identitätsschablone. Daneben finden sich immer wieder einzelne Sequenzen, in denen jene Liebesnacht in Wien ins Zentrum weitläufiger Spekulationen rückt.

Das Ende bleibt ein weiteres Mal offen und aus der Geschichte einer unerfüllten Liebe wird kein Entwicklungsroman, sondern sie bleibt schließlich unendlich. Linklater beschränkt sich in seinem Film auf das Wesentliche: den Dialog der Protagonisten, der Raum für Spontaneität lässt und auf Dramaturgie verzichtet. Durch die Sprache und den Verzicht auf Handlung gelingt es Linklater, den Zuschauer zu fesseln und sich auf die Dialog zu konzentrieren.

Die Macht der Sprache lässt die Realität verblassen und die Rede erhält ihren Sinn aus dem, was nicht da ist und deshalb mit Worten umworben werden muss: Erfüllung, Ganzheit, Glück. Was die Hauptpersonen verbindet, liegt außerhalb von Raum und Zeit, die Komplexität des Alltags bleibt außen vor und das Wesentliche rückt in den Vordergrund. "Before sunset" ist für den Zuschauer so spannend, weil er den Entwicklungsprozess gegenüber "Before sunrise" mit verfolgen kann. Damals konnten wir an der Begegnung zweier Menschen teilhaben, die noch am Anfang ihres Lebensweges standen, die sich ihren Träumen und Visionen hingeben konnten und deren Neugier, Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit Berge zu versetzen schien.

Klappt es dieses Mal?
Foto: Warner
Von dieser sagenhaften Unbeschwertheit ging eine Faszination aus, und wir alle haben uns gefragt, was aus den Idealen geworden ist und ob sich diese beiden Menschen, die sich so ähnlich zu sein schienen, jemals wieder gesehen haben. Nun treffen wir in "Before Sunset" auf zwei Menschen, die nicht die Erfahrungen scheuten, die das Leben ihnen bot, die daran gewachsen sind, aber dadurch auch abgeklärter und desillusionierter, ja geradezu selbstironisch wirken.

Das Leben hat viel versprochen, aber es hat ihnen auch verdeutlicht, dass sich manche Vorstellungen einfach nicht so aufrechterhalten lassen können und sich schließlich als Visionen entpuppen müssen. Doch trotz all der stattgefundenen Demaskierung ist da plötzlich der Mensch von damals, dem man nach einer einmaligen Begegnung das Besondere zugesprochen hat und diese Nacht zu etwas unantastbaren, ja geradezu heiligen erklärte.

Die Phantasie hat die Gabe alles noch reicher auszuschmücken und wenn die Gegenwart nicht hält, was sie verspricht, so flüchtet man in seine Erinnerungen, welche sich mit diesem Menschen von damals noch einmal zu neuem Leben erwecken lassen. "Before Sunset" ist kein Film über das Älterwerden, sondern stellt dar, dass die Gedanken, das Diskursive, immer gleich bleiben und sich Entwicklung und Reife, wenn überhaupt, am Körper abzeichnen. Und diese Erkenntnis ist es, die dem Film seinen Zauber verleiht und keinen Anlass bietet vor der Entzauberung der Zukunft Angst zu haben.

Annekatrin Brünig

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