Das politische Beben in Berlin

Neuwahlen im Bund: Die Kanzler-Dämmerung

09.06.2005

Als der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering nach dem Wahldesaster im sozialdemokratischen Stammland NRW verkündete, er werde sich zusammen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder für vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Herbst einsetzen, war wohl die gesamte Republik erstaunt. Kaum jemand hatte mit diesem Schritt gerechnet – offenbar nicht einmal der eigene grüne Koalitionspartner. Was wird nun aus Rot-Grün?

Zunächst einmal ist für Schröder und Co. kaum noch etwas wie vor dem für Rot-Grün so verhängnisvoll verlaufenen NRW-Wahlabend: Die Wähler an Rhein und Ruhr verpassten nicht nur der regierenden SPD, der dortigen Koalition oder dem Ministerpräsidenten Peer Steinbrück eine gewaltige Abfuhr. Nein, das ganze »Projekt Rot-Grün« wurde an diesem 22. Mai aus den politischen Angeln gehoben.

Daher war es kaum verwunderlich, dass im Anschluss auch bundesweit sofort die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen der SPD und den Grünen begannen. Von der noch im Bundestagswahlkampf 2002 demonstrierten Einigkeit war nichts mehr zu sehen. Wie auch: Während die Union bei fast allen Wahlen seit 2002 anscheinend mühelos von Sieg zu Sieg eilte, verlor insbesondere die SPD große Teile ihrer Anhängerschaft. Schröders halbherziger und zielloser Reformkurs – Stichworte Agenda 2010 und Hartz I bis IV – verunsicherte die zutiefst strukturkonservative SPD-Klientel, die jahrzehntelang an die alte sozialdemokratische Umverteilungspolitik gewöhnt war. Nur: In Zeiten, in denen es nichts mehr zu verteilen gibt, greifen solche Politikmuster schlicht nicht mehr.

Für die zumeist besserverdienenden Wähler der Grünen mag der schrittweise Abschied von dieser Sozialromantik verkraftbar sein – für die Anhänger der »Partei des kleinen Mannes«, die die SPD so gerne sein will, sieht es ganz anders aus. Hier finden sich mitunter echte Existenzängste, die durch die unverändert hohe Arbeitslosigkeit noch verstärkt werden.

Die SPD ist in eine Zwickmühle geraten, der ihren Wahlkampf überschatten wird: Reformkurs beibehalten und auf eine allmähliche Besserung der wirtschaftlichen Situation vertrauen oder lieber die bewährten Klassenkampfparolen hervorholen und das Menetekel eines Kapitalismus pur beschwören? Die Flügelkämpfe innerhalb der SPD zu diesen grundsätzlichen Fragen fangen gerade erst an.

Durch diese tiefe Zerrissenheit wird es die SPD schwer haben, im Wahlkampf gegen eine gestärkte und einige CDU/CSU zu bestehen. Zumal SPD und ihr grüner Koalitionspartner spürbar auf Abstand zueinander gehen – jeder kämpft fortan für sich allein. Rot-Grün wird wohl nur eine Episode der deutschen Politik bleiben. Die Epoche der Erneuerung des Landes steht bevor – ohne Rot-Grün.

Stefan Ewert

Link:
Bundesregierung.de