Premiere in der Deutschen Oper Berlin

Manon Lescaut

Laute Buh-Rufe mischen sich unter den Applaus. Wir befinden uns in der Deutschen Oper, beim Premierenabend von Puccinis »Manon Lescaut«. Schon zur Pause ist das Publikum hörbar in zwei Lager gespalten, hinten buht es, vorne wird umso lauter geklatscht. Ein weiterer Berliner Opern-Skandal? Schon wieder zu viel Blut, zu viele Nackte, zu viel Provokation auf der Bühne? Ganz im Gegenteil!

Um es gleich vorweg zunehmen: Gilbert Deflos Inszenierung von »Manon Lescaut« zeigt sich in höchst traditionellem, um nicht zu sagen: konventionellem Gewand. Die Darsteller tragen farbenfroh-historisch Dreispitz und Degen, Gehrock und Perücke, Reifrock und Korsett. Im Gegensatz dazu ist die Bühne sehr schlicht, fast vollständig in weiß gehalten – aber in dieser Einfachheit höchst zweckmäßig und vielseitig (Ausstattung: William Orlandi). »Traditionell« wie die äußere Erscheinung ist auch die Regie: keine Abstraktion, keine Bildmetaphern, nur einfachste, konventionelle Illustration der Handlung und hauptsächlich Frontal-Gesang.

Ganz abgesehen davon wird, wie leider fast durchgehend im Operngeschäft, auch in dieser Inszenierung noch das pure Handwerk vernachlässigt: Da gibt es zu Hauf unmotivierte Gänge; Darsteller, die zwischendurch aus der Rolle fallen und privat werden, weil ihnen niemand gesagt hat, dass und was sie spielen sollen, während der Fokus der Handlung nicht auf ihnen liegt, und dergleichen Ärgernisse mehr. Und dass, obwohl die Sänger gelegentlich selbstständig zeigen, dass sie durchaus in der Lage sind, mit schlichten Mitteln glaubwürdig zu agieren, ohne dass die Musik dabei leidet. Doch was hilft’s; diese Regie-Schlampigkeit ist leider Opern-Standard.

Musikalisch wenigstens wird solides Handwerk geboten, man mag gelegentlich die Augen schließen, da auf der Bühne doch nichts passiert, und alle Sinne auf die Musik konzentrieren – wenn alle Beteiligten nur erst etwas besser eingespielt sind. Beim Premierenabend ging es leider noch drunter und drüber, vor allem im Orchester. Renato Palumbo hatte zunächst weder seine Instrumentalisten noch die Sänger auf der Bühne richtig im Griff, woraus sich viele Ungenauigkeiten im Zusammenspiel ergaben. Auch hätte die Dynamik vom Dirigenten sensibler gehandhabt werden können. Im Laufe des Abends aber steigerten sich Palumbo und sein Orchester zu einer stellenweisen durchaus furiosen Leistung, besonders an Puccinis furiosen Stellen.

Auch die meisten Solisten brauchten ein wenig Zeit, um sich einzufinden. Marcello Giordani (Des Grieux) begann erst ab dem zweiten Akt, wirklich einzusteigen, am Ende wurde er gefeiert. Carlos Krause als Geronte – der Kostümierung nach weniger königlicher Steuerpächter als schwuler Pudel – gab gefügig mit Riesenperücke und comedia dell’arte-Gesicht die Witzfigur, auch im Gesanglichen. Andrzej Dobber überzeugte nachdrücklich als Sergeant Lescaut, Adina Nitescu sang die Manon mit wunderbar voller Stimme mit viel Tiefe.

Die musikalische Seite also ist noch steigerungsfähig, aber mit optimistischer Tendenz. Inszenatorisch jedoch ist diese »Manon Lescaut« in der Deutschen Oper ein nur bedingt gelungener Abend – die Buh-Rufe galten diesmal tatsächlich nicht dem Zuviel, sondern dem Zuwenig an Regie-Theater. Zum Schlussapplaus jedoch waren sie weitgehend verstummt. Die musikalische Darbietung, deren Qualität sich im Laufe des Abends sehr gesteigert hatte, war am Ende doch wichtiger als der ganze Rest.

Nora Mansmann

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Deutsche Oper Berlin