Deutsches Theater Berlin

Die Hermannsschlacht

Ein großes R prangt an der Bar, der Rezeption, am Fahrstuhl und auf der Kleidung der Angestellten – Corperate Identity eines Luxus-Hotels. In pastellfarbener Lounge-Umgebung spielt ein einsamer Keyboarder Dudelmusik. Hermann der Cherusker, inzwischen nicht mehr der Jüngste, ist Empfangschef in diesem Hotel, in dem auch seine Frau Thusnelda arbeitet. Die Gäste sind – wer sonst? – die Römer, die sich in weißen Bademänteln faul im Foyer herumräkeln, von Barkeeper Aristan Cocktails serviert bekommen und sich von den Reinigungskräften Eginhardt und Getrud hinterherputzen lassen.

Hermann der Cherusker (Jörg Gudzuhn) ist Empfangschef
Foto: Deutsches Theater
Tom Kühnel hat für seine erste Inszenierung am Deutschen Theater Berlin die "Hermannsschlacht" konsequent ins Heute verlegt. Kleists durch die Römer unterdrückte Germanen stehen hier unter der Fuchtel des Kapitalismus und leiden unter den höflich-herablassenden, ignoranten Luxus-Touristen, für die sie als Hotelangestellte arbeiten müssen. Die Ausbeutung äußert sich ganz alltäglich zwischen arm und reich, zwischen den Menschen, die sich Urlaub leisten können und den Mini-Jobbern, die deren Freizeit-Dreck wegräumen. Doch anders als im richtigen Leben begnügen sich die Verlierer des Arbeitsmarkts nicht mit Demonstrationen, sondern schlagen zurück. Hermann legt seine Hoteluniform und das Pappkäppi mit dem R ab, er verweigert den Römern den Dienst, mehr noch, er schmiedet ein Komplott gegen die »Schutzmacht«.

Jörg Gudzuhn spielt seinen Hermann durchaus nicht als den edlen Deutschen, als der der Cherusker in der Entstehungszeit des Dramas, in romantischer Deutschland-Begeisterung, gern gesehen wurde. In der schwächeren Position zunächst unterwürfig und kriecherisch, später brutal rachsüchtig den Römern gegenüber, lässt sich Hermanns zukünftige Entwicklung zum neuen starken Mann, zum Warlord, schon erahnen. In weiteren Hauptrollen überzeugen Katharina Linder (Thusnelda), Frank Seppeler (Ventidius) und Gabriele Heinz (Gertrud), der Rest des Ensembles bleibt in der zweiten Vorstellung bei weitgehend soliden Leistungen eher blass.

Die weißen Bademäntel sind bald blutverschmiert
Foto: Deutsches Theater
Die brutale Rache der Unterdrückten ist blind für Unterscheidungen. Auf Thusneldas Frage, ob auch »die guten Römer« sterben müssten, antwortet Hermann nur: »Das sind die Schlechtesten«. Kühnel ist nicht so naiv, den Sieg der Germanen als uneingeschränkten Triumph heldenhafter Guerillas über die kapitalistischen Usurpatoren zu zeigen – so einfach ist es eben nicht. Heinrich von Kleist, der seine »Hermannsschlacht« 1808 schrieb, hatte die Befreiung von der napoleonischen Besetzung im Hinterkopf. Entsprechend national-pathetisch gestaltete er das Ende, den Sieg der »Deutschen«, die aber bekanntlich als Nation weder 9 n. Chr. noch Anfang des 19. Jahrhunderts existierten. Tom Kühnels Hotelangestellte, am Ende erschöpft zu Boden gesunken vor ihrem Leichenberg, haben für romantisches Pathos nichts mehr übrig. Sie sind erlahmt und verunsichert, sie haben verlernt, selbst Verantwortung zu übernehmen, und so wird Hermann zum neuen Führer ausgerufen. Der Cherusker, ebenso ratlos wie seine Landsleute, schlägt vor, gleich weiterzumachen: nach Rom zu ziehen und die einstigen Unterdrücker gänzlich auslöschen.

Hermann & Co. ganz unheroisch: Kühnel wirft mit diesem ernüchterten Ende behutsam und subtil aktuelle Fragen auf: Wie lange kann Freiheitskampf als gerechte Sache gelten, ab wann wird er zum Terror? Muss das Machtvakuum nach einer Gewaltherrschaft notwendig wieder durch eine autoritäre Gesellschaftsform ausgefüllt werden, damit ein Land nicht im Chaos versinkt? Entwickeln sich die Sieger zwangsläufig zu neuen Unterdrückern? Damit liefert dieser differenzierte Theaterabend, der eher still und unterschwellig brodelnd als laut und lärmend über die Bühne geht, einen Kommentar zu den aktuellen Konflikten dieser Welt und gibt Anstoß zum Weiterdenken in vielerlei Richtungen.

Nora Mansmann

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