Interzone

Uraufführung im Haus der Berliner Festspiele

»Panorama der City von Interzone: Häuser aus Rasenstücken mit blinzelnden Hochgebirgsmongolen in den verräucherten Eingängen, Häuser aus Bambus und Teakholz, Häuser aus Lehm, Stein und Ziegeln, Maori-Häuser aus dem Südpazifik, Baumhäuser und Hausboote, 30 Meter lange Holzhäuser, die ganze Stämme beherbergen, Häuser aus alten Kisten und Wellblech... Die Küchendünste sämtlicher Länder hängen über der City und mischen sich mit dem würzigen Geruch von Opium und Haschisch, dem harzigen roten Rauch von Yage, dem Geruch von Urwald und Meer und fauligem Flusswasser, eingetrocknetem Kot und Schweiß und Genitalien...«

Interzone
Foto: Berliner Festspiele
Wie hier in seinem bekanntesten Roman »Naked Lunch« greift William S. Burroughs das Motiv der »Interzone« auch in vielen weiteren Texten auf. Reales Vorbild für diesen fiktiven Ort war Tanger in Marokko, das noch unter internationaler Verwaltung stand, als der »Beat-Poet« sich in den 50er Jahren dort aufhielt. Der pessimistische Burroughs schildert den Großstadt- Schmelztiegel der Kulturen und Völker nicht als Multikulti-Idyll, sondern zeichnet das realistischere, aber sehr düstere Bild einer Halbwelt voller Gewalt und Gesetzlosigkeit. Auf der Grundlage von Burroughs' Texten entwickelten der Autor Marcel Berger, der Komponist Enno Poppe und die Videokünstlerin Anne Quirynen so etwas wie einen konzertanten Musiktheaterabend mit Videoinstallation, und da es offenbar auch ihnen schwer fiel, eine adäquate Gattungsbezeichnung zu finden, nannten sie das Ergebnis im Untertitel schlicht und treffend »Lieder und Bilder«.

Auf der Hinterbühne im Haus der Berliner Festspiele, wo »Interzone« im Rahmen des Musikprogramms Konzerte / Oper uraufgeführt wird, sieht sich das Publikum nur den Musikern gegenüber: Holzbläser, Klavier und Keyboard, Akkordeon, Percussion, Sänger und Sprecher. Das Spiel übernehmen an diesem Abend die Bilder, die auf acht von der Decke hängende Videoleinwände projiziert werden, deren kreisförmige Anordnung an das Facettenauge einer Biene erinnern soll. Im schnellen Wechsel flackern Häuser, Autos, Menschen auf - aus New York, Berlin und Bombay, aus den Interzones dieser Welt.

Auch Enno Poppes Musik flackert. Mal flirrt sie wie ein elektronischer Moskitoschwarm, mal wummert sie durch den ganzen Raum bis in die Gedärme jedes einzelnen Zuschauers, mal piepsen und kreischen Sopranistin und Piccolobläser um die Wette. Das hat Energie und Explosivität, ja sogar Emotionalität, Poppe wechselt häufig zwischen Spannung und Entspannung, zwischen dramatisch bewegten und kontemplativen Momenten. Die Musik ist einerseits so raffiniert gemacht wie sie auf der anderen Seite wieder einfach und archaisch ist, etwa mit den immer wieder hervortretenden urwüchsigen Ethnopercussionrhythmen. Im nächsten Moment klingen Klassiker der europäischen Musikgeschichte an, oft verschränkt mit elektronisch erzeugten Tönen: Die Keyboards produzieren verzerrte, zwischen den Tönen tremolierende Schallflächen im Hammondsound und schrille glasige Klänge, die oft vom Sopran oder den hohen Bläsern übernommen werden. Poppe arbeitet gern mit Extremen, bei den Blasinstrumenten werden hauptsächlich die höchsten und tiefsten Vertretern ihrer Familien benutzt, die man sonst, gerade in dieser kleinen Besetzung, selten sieht.

Im Zentrum der Komposition steht das Instrumentalstück BROKEN PIECES, in dem mit Hilfe des Videos auch der 11. September thematisiert wird. Wenn sich die schmerzhaft schrillen, blitzenden Metall-Geräusche fast bis zur Unerträglichkeit steigern, wenn gleichzeitig im Video Rauch in den Himmel aufsteigt und - nur kurz angedeutet - die Umgebung um den Ground Zero zu sehen ist, hat die künstlerisch perfekte Symbiose von Bild und Ton stattgefunden. Die Ausführenden, das ensemble mosaik und die Neuen Vokalsolisten Stuttgart, bringen unter der so souveränen wie einfühlsamen Leitung Jonathan Stockhammers eine großartige musikalischen Leistung zu Gehör.

Im Mittelpunkt des Vocalistenensembles jedoch steht Omar Ebrahim als Sprecher, in dem man gern William Burroughs sehen möchte, auch wenn das Autoren-Team sich im Programmheft dezidiert vor biografischem Anekdotenerzählen verwahrt. Es geht hier gar nicht um die schillernde Persönlichkeit des Kultautors, sondern vielmehr um die starke Atmosphäre, die seine Texte zu erzeugen im Stande sind. Der Schriftsteller Marcel Berger hat für sein Libretto einige Passagen zusammengestellt, der Text ist in englischer Sprache, jedoch durchsetzt mit einigen deutschen Wörtern, die für den Briten Ebrahim zu Störgeräuschen werden.

Omar Ebrahim spricht mit der Stimme des Ich-Erzählers der Vorlage, und somit dann doch wieder mit Burroughs Stimme. Wer dessen Werke kennt, wird zwangsläufig einem Strom von Assoziationen ausgesetzt, es gelingt den Autoren sehr gut, die Atmosphäre Burroughs’scher Texte, ihre Abgehacktheit und Sprunghaftigkeit, das Kaleidoskophafte, die Flüchtigkeit der Ideen und Bilder, wiederzugeben. Die Kenntnis des Werkes hilft, die unzähligen Splitter zu verbinden, den Bilderstrom im Geiste zu kanalisieren - ohne diesen Bezugspunkt im Kopf des Zuschauers läuft dieser hochinteressante Abend Gefahr, zu einem beliebig erscheinenden, auf die Dauer sehr anstrengenden Bombardement von schwer einzuordnenden Sinneseindrücken zu werden.

Nora Mansmann

Link:
Berliner Festspiele