Muxmäuschenstill

Herr Mux ist ein unscheinbarer, durchschnittlicher junger Mann aus Berlin. Unzufrieden mit dem Zustand der Moral in seinem Land, beschließt er, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. Fortan stellt er achtlose Hundehalter, Grafitti-Sprayer, Raser und Ladendiebe auf frischer Tat und dokumentiert mit der Videokamera seine selbst verhängten Strafmaßnahmen. Bald beschäftigt er den ersten Angestellten, den Dauer-Versager und Langzeitarbeitslosen Gerd, der sich als perfekter Mitläufertyp erweist. Und das Unternehmen wächst weiter.

Mux sammelt alles auf Video
Foto: Schiwago Film
In seinem ersten Spielfilm "Muxmäuschenstill" denkt Marcus Mittermeier konsequent das Weltbild vieler braver Bürger, Hobby-Denunzianten und Spießer weiter. Dafür bedient er sich jedoch nicht eines giftigen alten Gartenzwergliebhabers, sondern eines jungen Mannes, der in seinem Idealismus oft unfreiwillig komisch und doch auch irgendwie rührend wirkt. Mux (Jan Henrik Stahlberg) vertritt deutsche Tugenden wie Ordnungsliebe, Fleiß und Genauigkeit. Seine Dokumentationsaufnahmen archiviert er gewissenhaft in riesigen Regalen. Er erstellt Listen und Diagramme zur Rückfallquote und arbeitet nebenbei an einem Manifest, denn er sieht sich als Moralphilosoph in der Nachfolge Kants. Ein bisschen verrückt, doch nicht notwendigerweise unsympathisch. Wer würde nicht zustimmend nicken, wenn Mux Vergewaltigungsopfer rettet oder alten Damen die geklaute Handtasche zurückbringt? So wird eine Identifikation des Zuschauers mit der Figur erreicht, die der Film immer wieder bricht um sie anschließend neu aufzubauen und abermals zu brechen.

Denn Mux geht es nicht um die Opfer, sondern um die Täter. Sein Anspruch ist die Wiederherstellung der öffentlichen Moral, und seine rigorose Selbstjustizpädagogik macht auch vor Kavaliersdelikten wie Schwarzfahren, Grafitti oder Radfahren ohne Helm nicht Halt. Wir sind nah dran an Mux und seinem Erfüllungsgehilfen Gerd (Fritz Roth), der Blick des Zuschauers geht durch die Videokamera, die die beiden zur Dokumentation ihrer Aktionen benutzen. Mux' Verachtung für Gerd ("Er erinnert mich immer an einen Hund") und dessen dumpfer Kadavergehorsam werden durch diesen Blickwinkel ebenso deutlich wie die Bewunderung und Unterwürfigkeit des ehemaligen Arbeitslosen dem neuen Chef gegenüber, die Mux voll auskostet. Auch wenn die Perspektive gelegentlich wechselt, um Mux und Gerd aus der Distanz zu beobachten, hält Mittermeier doch die wacklige Amateurvideoästhetik durch, was dem Film zu großer Unmittelbarkeit und dokumentarischer Wirkung verhilft.

Während Regisseur Mittermeier geschickt-subtil immer wieder mögliche psychologische Motivationen für Mux' Handeln aufblitzen lässt, entsteht im Laufe des Films das Bild eines beängstigend normalen Psychopathen. Mit krankhafter Egozentrik stillisiert er sich vor Gerds Kamera zum einsamen Helden gegen das Unrecht. Als er sich auf einer Angeltour in ein junges Mädchen, Kellnerin in einem Ausflugslokal, verliebt, baut er auch sie gleich in sein Weltbild ein. Ihr Name ist Kira, Mäuschen nennt er sie. Er will ihr Ritter sein, sie schützen vor den Gefahren des Lebens. Sie repräsentiert für ihn das Reine, soll die Muse werden für das selbsternannte Genie. Kira (Wanda Perdelwitz) spielt zunächst das Spielchen mit, fühlt sich geschmeichelt von Mux' Avancen, nimmt ihn jedoch nicht ernst genug.

Gerd und sein Mentor Mux
Foto: Schiwago Film
Ein durch besondere Arroganz verdecktes Selbstwertproblem, der sadistisch konnotierte Wunsch, geliebt und anerkannt zu werden, notfalls mit Gewalt, wie Mux sie an seinen "Klienten", der wachsenden Zahl der Angestellten seines Denunziationsimperiums und schließlich auch an der selbstbewussten Kira auslebt, führen zur Eskalation. Durch die logisch gut nachvollziehbare Entwicklung des Mux und seiner Beziehungen zur Außenwelt entsteht eine grausame Zwangsläufigkeit im Handeln des Protagonisten, dem am Ende sogar die geliebte Kira zum Opfer fällt.

Marcus Mittermeier und seinen Schauspielern, allen voran Hauptdarsteller Jan Henrik Stahlberg (der auch das Drehbuch schrieb), ist mit "Muxmäuschenstill" eine erschreckende und zugleich komische Mentalitätsschilderung ganz normaler deutscher Durchschnittsbürger gelungen. Der Film ist eine Bebilderung von Allmachtsträumen faschistoider Charaktere, wie sie latent in großer Zahl in der Gesellschaft vorhanden sind, seien es eher Mitläufer wie Gerd oder aktiv Handelnde, Entscheider, Führer wie Mux. Die gelungene Figurendarstellung macht es dem Zuschauer schwer, sich völlig zu distanzieren - ein Stückchen Mux steckt in jedem von uns.

Nora Mansmann