Komische Oper Berlin

Wozzeck

Wozzeck steht als einfacher Soldat ganz unten auf der sozialen Stufenleiter. Nebenbei verdient er ein paar Groschen dadurch, dass er seinen Hauptmann rasiert und sich dem Doktor für Menschenversuche zur Verfügung stellt, für die er unentwegt Erbsen essen muss. 100 Jahre nachdem Georg Büchner seinen »Woyzeck« schrieb, war die sozialkritische Thematik des bis dahin weitgehend unbekannten Fragments noch immer aktuell: in der unruhigen Zeit nach dem Weltkrieg verwendete Alban Berg das Drama als Vorlage für seine erste, 1925 uraufgeführte Oper. Wiederum fast hundert Jahre später ist Wozzeck in der Gegenwart angekommen und steht mit Kamerad Andres am Fließband – in einer Erbsenfabrik...

Wozzeck (Garry Magee)
Foto: Komische Oper Berlin / Monika Rittershaus
Der britische Regisseur Richard Jones, der zum ersten Mal an der Komischen Oper inszenierte, kam mit einem zeitgenössischen, engagierten Konzept nach Berlin. Konsequent wird die Geschichte vom gesellschaftlichen Underdog, der aus Verzweiflung über den Verlust seiner Marie an einen Bessergestellten zum Mörder wird, ins Heute verlegt, in den Mikrokosmos eines modernen Großkonzerns. Zur Stimmigkeit der Übersetzung trägt vor allem die einfallsreiche Bühnengestaltung von Paul Steinberg bei. Analog zu den musikalischen Motiven, die sich durch die Oper ziehen, stellt der Bühnenbildner visuelle Motive auf die Bühne, die er immer wiederkehren lässt im Einheits-Look der Konzern-Welt, etwa den ständig größer werdenden orange Müllcontainer oder die silbern blitzenden Erbsendosen.

Wozzeck also steht am Fließband, und Marie arbeitet als Putzfrau. Wozzecks Peiniger, der Tambourmajor, der Hauptmann und der Doktor, bilden das Management des omnipräsenten Konzerns, der seine Angestellten kollektiviert und vereinnahmt bis zur völligen Uniformierung durch identische Arbeitskleidung (Kostüme: Buki Shiff). Ihre Freizeit und sogar ihre Nächte verbringen die Angestellten gemeinsam in der Brave New World der werkseigenen Einrichtungen.

Dieses angenehm gesellschaftskritische, dennoch nicht plakative oder belehrende Konzept geht auf bis ins Detail, doch in der Ausführung ist der Abend alles andere als rund. Richard Jones mag viel Regie-Erfahrung haben, hier jedoch zeigt er keinerlei Gespür für szenischen Rhythmus, Spielvorgänge und Spannungsbögen. Vor allem die nachlässige Personenregie stößt unangenehm auf. Sänger und Sängerinnen laufen unmotiviert hin und her und fuchteln mit den Armen, weil ihnen niemand gesagt hat, was sie tun oder vor allem was sie lassen sollen. Unausgegoren und abgehackt, wie auf der ersten Durchlaufprobe, wirken die Bewegungsabläufe. Hier hat Jones gewaltig geschlampt! Lächerlich und wieder irgendwie possierlich ist es, wenn Marie und der Tambourmajor, allein im Lounge-Büro, vor der Durchführung des Geschlechtsakts erst vom Sofa aufstehen und, ruhig und gesittet, hinter dasselbe marschieren, um erst dort übereinander herzufallen – das kann jeder Regiehospitant besser in Szene setzen! Ein kluger Dramaturg allein macht eben leider noch keine gute Inszenierung.

Musikalisch hingegen ist der Abend ein Glanzstück. Michael Bartosch führt das Orchester mit viel Verve zu einem kraftvollen, klangintensiven Spiel, Bergs oft komplizierte atonale Musik kommt durchgehend kristallklar und präzise im Parkett an. Dank des transparenten Spiels ist auch die Textverständlichkeit erfreulich gut. Die Vokalisten überzeugen bis in die Nebenrollen und zum Chor, herauszuheben sind besonders die großartige Geraldine McGreevy als Marie, Jürgen Müller als Tambourmajor und Neven Belamaric als Doktor, der jedoch leider auf Grund von Sprachproblemen schwer zu verstehen ist. Allen voran aber glänzt Dietrich Henschel als Wozzeck, der trotz der Führungsunfähigkeit des Regisseurs noch dazu sehr gut spielt.

Alban Bergs »Wozzeck« ist kein Publikumsrenner. Die sperrige atonale Musik des Schönberg-Schülers schreckt viele Zuschauer ab, die sich von einem Opernabend nur gefällige Wohlklänge erwarten: Zur 10. Vorstellung in der Komischen Oper war der Saal weniger als halb gefüllt. Dass diese Art von Musik nicht die dringend benötigten hohen Auslastungszahlen bringt ist kein Geheimnis. Umso verdienstvoller ist es, dass die Komische Oper dennoch das Wagnis eingegangen ist, dieses Werk in der vorangegangenen Saison auf den Spielplan zu setzen, noch dazu in Verbindung mit einem so interessanten zeitgenössischen Konzept. Trotz der schlechten handwerklichen Umsetzung auf Seiten der Regie zeigte sich das Publikum insgesamt sehr angetan von diesem interessanten Opernabend.

Nora Mansmann

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