X Wohnungen Berlin 2004 – Theater in privaten Räumen

Die Theatralität der Wirklichkeit und umgekehrt der Einbruch von Realität ins Theater ist ein weitreichender und spannender Untersuchungsgegenstand, dem sich in letzter Zeit viele Künstler verstärkt und mit Erfolg angenommen haben, etwa die Gruppe Rimini-Protokoll, deren Reality-Theater vor kurzem geadelt wurde durch eine Einladung zum Theatertreffen.

X Wohnungen: Theater in privaten Räumen
Foto: hebbel-am-ufer.de
In einem Projekt des Hebbel am Ufer verbindet sich der Aspekt Realität versus Fiktion mit der Idee, die "Black Box Theater" zu verlassen und außerhalb des Theaterraumes zu spielen. Die Grundidee des bereits in Duisburg erfolgreich erprobten Konzepts ist einfach aber überzeugend: Jeder beteiligte Künstler bekommt eine private Wohnung zugeteilt, in der er eine kurze Inszenierung zeigt. Oft stehen die erzählten Geschichten in enger Verbindung zu den Bewohnern der Räume.

Treffpunkt Nöldner Bistro, Lichtenberg. Von dort aus werden die Zuschauer losgeschickt auf einen von zwei Parcours durch jeweils sieben Privatwohnungen. Eine weitere Tour findet in Kreuzberg statt. Anhand von Bodenmarkierungen und einer Wegbeschreibung tastet man sich in Zweiergruppen von einer zur nächsten Wohnung vor. Was innen wartet, bleibt bis zum Schluss eine Überraschung, die vor den Türen wachenden HAU-Mitarbeiter schweigen sich aus und grinsen geheimnisvoll.

Der Gast wird meist erwartet vom tatsächlichen Wohnungsinhaber, und die Geschichten, die die Kurzinszenierungen erzählen, sind eng mit den Menschen und auch mit ihren Wohnungen verknüpft. Ein Ehepaar plaudert über den Einzug in den Platten(neu)bau, in dem es noch immer lebt. Eine Frau sammelt Autogramme; sie zeigt ihre 8000 Exponate umfassende Sammlung und erzählt von der Jagd nach den Stars. Für die finnische Videokünstlerin Eija-Liisa Ahtila reichten Fotos und Erinnerungen, um einen assoziativen Videofilm zum Leben "ihrer" Bewohnerin zu drehen, der in deren Wohnzimmer in einer Endlosschleife an die Wand gebeamt wird. Dann gibt es da noch zwei verlassene Wohnungen, offenbar renovierungsbedürftig, in denen sich die Künstler ein ganz eigenes begehbares Bühnenbild von surrealistischer Qualität geschaffen haben, anders als ihre Kollegen, die die vorhandene Einrichtung der bewohnten Räume nutzen konnten bzw. mussten.

So entsteht schon durch die unterschiedlichen Verraussetzungen, aber auch durch die Verschiedenheit der beteiligten Künstler ein höchst abwechslungsreicher und spannender Abend. Jeder Regisseur hat einen eigenen Weg gefunden, die Geschicht der Wohnung in eine künstlerische Sprache zu übersetzen, sie aus der Realität zu heben und zur Performance zu machen. Es wird viel mit Video gearbeitet, nicht nur Theaterleute, sondern auch Filmemacher und Videokünstler, aber auch Choreografen und Bildende Künstler sind beteiligt. Manchmal fällt die Unterscheidung zwischen Spiel und Realität schwer, wird bewusst schwer gemacht, hier und da kommt ein Gefühl von Voyeurismus auf. Die kleinen Häppchen machen Lust, mehr über die Menschen zu erfahren, die hinter den Geschichten stehen.

Nicht jeder Theatergänger wird sich auf die etwas beschwerliche Tour durch fremde Wohnzimmer begeben wollen, nicht jeder verträgt die direkte Konfrontation mit der "Bühne" und möchte sich in unsicheres Fahrwasser zwischen Realität und Fiktion begeben. Hier werden jeweils nur zwei Zuschauer direkt angesprochen, müssen eventuell reagieren, können sich nicht im abgedunkelten Theaterparkett zurücklehnen: Das Publikum sitzt genauso auf dem Präsentierteller wie die Agierenden. Wer aber keine Hemmungen hat, sich auf ein bisschen Mitspielen und vor allem immer wieder neue Geschichten einzulassen, für den ist X-Wohnungen ein einzigartiges Erlebnis. Bleibt zu hoffen, dass diese nur auf einen sehr kleinen Zuschauerkreis angelegte Veranstaltung in dieser Form in anderen Räumen noch öfter realisiert werden kann.

Nora Mansmann

Link:
Hebbel am Ufer (Berlin)