Besessen
Der amerikanische Low-Budget-Regisseur Neil LaBute hat sich in der Independent-Szene
mit Filmen wie »In The Company Of Men« und »Nurse Betty« einen Namen gemacht.
Mit dem ambitionierten Liebesdrama »Besessen« verlässt der Indie-Filmer seine
Wurzeln und heuert bei einer regulären Studioproduktion an. Das Ergebnis glänzt
durch gute Darsteller, brillante Photographie und Anspruch.
Im elitären Kreis der Londoner Universitätswelt hat es der junge amerikanische
Stipendiat Roland Michell (Aaron Eckhart) nicht leicht. Die Vorbehalte gegen
seine Herkunft aus dem Land der Oberflächlichkeit steckt der selbstbewusste
Sonderling aber locker weg. Für einen Hungerlohn arbeitet er als wissenschaftlicher
Assistent des renommierten, leicht kauzigen Literaturprofessors Blackadder
(Tom Hickey), der ihn sowieso kaum beachtet. Michells Augenmerk richtet sich
auf das Lebenswerk des englischen Dichters Randolph Henry Ash (Jeremy Northam).
Beim Stöbern in einem von Ashs Werken macht Roland eine Entdeckung: Ein
Liebesbrief an eine namenlose Mätresse ist zwischen den Seiten versteckt. Zu
seiner Zeit des 19. Jahrhunderts galt der verheiratete Ash als blütenreiner
Ehrenmann. Bei seinen Nachforschungen spürt Michell dem leidenschaftlichen
Liebesverhältnis zu der bisexuellen viktorianischen Dichterin Christabel
LaMotte (Jennifer Ehle) nach. Eine Veröffentlichung dieser stürmischen
Affäre käme in den literarischen Zirkeln einer Sensation gleich. In der
emotional unterkühlten Akademikerin Maud Bailey (Gwyneth Paltrow), die als
brillante Kennerin von LaMottes Werk und Leben gilt, findet Michell eine
Verbündete. Trotz anfänglicher Vorbehalte und Aversionen verlieben sich beiden
ineinander – nicht ohne Konflikte.
Jahrelang suchte Produzentin Paula Weinstein (»Reine Nervensache«, »Der Sturm«)
für die Verfilmung von Antonia S. Byatts mit dem Booker-Preis ausgezeichneten
Roman »Besessen« aus dem Jahr 1990 nach einem geeigneten Regisseur – und wurde
schließlich bei LaBute fündig. Das Warten hat sich künstlerisch ausgezahlt.
Zwar galt der Indie-Filmer nicht gerade als Spezialist für gediegene Literatur,
doch Weinstein sah etwas anderes: LaBute nehme politisch Stellung zum
Verhältnis zwischen Mann und Frau – und genau das ist das zentrale Thema des
Romans. Über anderthalb Jahre werkelte LaBute gemeinsam mit Laura Jones
(»Die Asche meiner Mutter«) und David Henry Hwang (»M. Butterfly«) an dem Drehbuch.
Weinstein: »Ob zu viktorianischen Zeiten oder heute – auf jeder Ebene des Romans
geht es um die Auseinandersetzung der Geschlechter. Dialoge zwischen Mann und
Frau über Vorherrschaft, Führungsrollen, über Sexualität und Liebe – da ist Neil
LaBute in seinem Element. Das ist zutreffend. Spielend leicht gelingt die Verknüpfung
der zwei verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen – zwei völlig unterschiedliche
Welten, die dennoch ihre Parallelen aufweisen.
Im Zentrum der verwobenen Handlung stehen zwei Paare, deren Liebe durch die
komplizierten Umstände von Anfang an zum Scheitern verurteilt scheint. Die
dramatischen Konflikte um Moral und Konventionen, die vor allem die etwas zäher
wirkenden historischen Teile prägen, halten das Interesse des Zuschauers wach.
Jeremy Northam (»Enigma – Das Geheimnis«, »Gosford Park«) und Jennifer Ehle
(»Oscar Wilde«) geben ihre Künstler als von der Liebe Getriebene, die sich gegen
alle Widerstände behaupten wollen. Durch ihre außereheliche Partnerschaft werden
sie zu Außenseitern. Ein Außenseiter ist auch der von Aaron Eckhart (»Erin Brockovich«)
gespielte, beziehungsscheue Amerikaner, der sich trotzdem in die von Gwyneth
Paltrow äußerst unterkühlt angelegte Akademikerin verliebt. Mit erstaunlich
frischem Witz nimmt LaBute die kulturellen Unterschiede und Vorurteile von
Briten gegenüber Amerikanern unter die Lupe und zieht sie seicht satirisch
durch den Kakao. Als roter Faden zwischen den beiden Handlungsebenen dient die
literarische Detektivgeschichte, die Eckhart und Paltrow durch altehrwürdiges
London, über opulente Herrenhäuser und wunderschön eingefangene Landschaften
führt. Darin unterscheiden sich Vergangenheit und Gegenwart kaum. Nur der Stil
hat sich ein wenig verändert.
Eckhart, der bisher in allen vier Filmen von LaBute mitspielte, kennt den
Regisseur bereits aus Studienzeiten und erweist sich für »Besessen« als gute
Wahl. Der etwas schlampig wirkende Amerikaner Michell wirkt auf Anhieb sympathisch
und harmoniert im weiteren Verlauf mit der grazilen Gwyneth Paltrow, die erneut
eine Britin spielt, sehr gut. Das ergibt für den Film aber auch gleichzeitig
ein Problem. Der Handlungsstrang mit Eckhart/Paltrow ist interessanter, lebendiger
und frischer – einfach berührender. Das liegt sicherlich auch an den steiferen
Umgangsformen im viktorianischen 19. Jahrhundert, aber nicht nur. Das Neuzeitpaar
entwickelt mehr Charme und eröffnet größere Identifikationsmöglichkeiten.
Dennoch ist Neil LaBute mit »Besessen« ein homogenes, anspruchsvolles Stück
Kino geglückt, das im Mainstreambereich sicherlich falsch aufgehoben ist, aber
im Arthouse-Cinema seinen verdienten Platz finden wird.
Carsten Baumgardt
Links:
Offizielle Website zum Film
Site des Autors
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