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Die Akte Sebastian Deisler

Mit dem öffentlichen Interesse wuchsen die Depressionen

Er ist Nationalspieler, spielt beim FC Bayern, verdient Millionen und steht tagtäglich im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Er führt ein Leben, um das ihn Millionen Menschen beneiden. Doch dieses Leben hat Sebastian Deisler krank gemacht.

Geplagt von schweren Depressionen teilte der 23-Jährige seinem Manager Uli Hoeneß vor gut drei Wochen mit: »Ich kann nicht mehr. Ich bin fertig.« In Absprache mit seinem Verein begab er sich daraufhin in ärztliche Obhut in das Max-Planck-Institut für Psychologie in München. Deislers Arzt, Professor Florian Holsboer, diagnostizierte Depressionen, die er auf »die vielen Belastungen« seines Patienten zurückführt. Seitdem wird der Mittelfeldspieler mit Gesprächstherapien und Medikamenten behandelt. Sein Zustand verbessere sich »von Tag zu Tag«, betonte Holsboer.

Einzelgänger, der Probleme in sich hineinfrisst

Der junge Sebastian Deisler, der als 15-Jähriger in das Internat von Borussia Mönchengladbach kam, um zum Fußball-Profi ausgebildet zu werden, war ein fröhlicher, aufgeweckter Junge. Die Depressionen, so scheint es, traten erst parallel zu dem anwachsenden Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an seiner Person immer stärker zu Tage. Als Deisler als Teenager von Gladbach nach Berlin zur Hertha wechselte, sei der Mittelfeldspieler »locker« und »fröhlich« gewesen, erinnert sich sein damaliger Mannschaftskollege Dick van Burik. »Aber je größer das öffentliche Interesse wurde, je mehr hat er sich abgesondert.«

Nach seinem Transfer zu Bayern München im Sommer 2002, wo er wegen seiner langwierigen Verletzungen sportlich noch nicht richtig hatte Fuß fassen können, kapselte sich »Basti- Fantasti«, wie er wegen seines überragenden Talents genannt wird, noch mehr ab. In der Mannschaft seines jetzigen Arbeitgebers, so wird berichtet, gilt er als Einzelgänger, als einer, der Probleme meist in sich hineinfresse und sich dem Buddhismus zugewandt habe. Gegenüber den Medien präsentierte Deisler sich stets misstrauisch und verschlossen.

Bayern forderte Einsatz in der Öffentlichkeitsarbeit

Deisler liebt zwar den Fußball, verabscheut aber das Fußball-Geschäft, die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit und Selbstinszenierung. Ein Umstand, den die Verantwortlichen beim FC Bayern nicht gerne sahen. Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern forderte deshalb von Deisler im Sommer mehr Einsatz, auch abseits des Platzes: »Deisler ist unglaublich introvertiert. Er meint, es reicht, wenn er trainiert und samstags spielt. Aber beim FC Bayern ist das nicht genug.« Auch Manager Hoeneß wollte nach überstandener Verletzung endlich Leistung sehen: »Die Schonzeit ist vorbei. Sein Knie macht keine Probleme mehr. Jetzt muss man Forderungen an ihn stellen.«

Und tatsächlich sah es kurzzeitig so als, als würde Deisler zumindest sportlich die in ihn gesteckten Erwartungen erfüllen können. Doch ausgerechnet, als sich der gebürtige Lörracher nach langwierigen Knieverletzungen und immer neuen Komplikationen gerade leistungsmäßig so weit stabilisiert hatte, dass Rudi Völler mit ihm für die Nationalmannschaft plante und die Öffentlichkeit in ihm schon wieder den »Heilsbringer« für die schwächelnde Nationalelf sah, kam der Rückschlag.

»Anspannung war zu viel«

Waren es Versagensängste angesichts der großen Erwartungen von allen Seiten, die bei Deisler die Depressionen zum Ausbruch brachten, für die er nach Angaben seines Arztes eine grundsätzliche genetische Disposition in sich trage? Der Druck seines Millionengehalts, der Erwartungshaltung von Trainer, Sponsoren und Fans, die endlich konstant gute Leistungen sehen wollen? Belegt sind private Sorgen: Während der Schwangerschaft seiner Freundin Eunice, die im Januar das erste gemeinsame Kind erwartet, kam es zu Komplikationen. Außerdem erfuhr die Öffentlichkeit, dass Deislers Eltern getrennt leben. Bei dem »sehr sensiblen Spieler«, wie ihn Ex-Bayer Ciriaco Sforza charakterisiert, führte diese Kombination offensichtlich zum Ausbruch der Krankheit. »Die Anspannung war einfach zu viel«, diagnostizierte Psychologe Holsboer.

Depressions-Fälle jahrelang verschwiegen

Depressionen sind im Sportbereich kein neues Krankheitsbild. Unter Sportpsychologen ist dieses Phänomen schon länger bekannt. Man erinnere sich z.B. an magersüchtige Skispringer oder an Radprofi Jan Ullrich, der angeblich wegen Depressionen zu Ecstasy-Pillen griff. Auch Boris Becker betäubte sich nach eigenen Aussagen in jungen Jahren mit Schlafmitteln und Alkohol, um die nervliche Überbelastung in den Griff zu bekommen.

Im Zuge des Bekanntwerdens von Deislers Krankheit, die Bestürzung in der ganzen Liga hervorrief, veröffentlichte die »Sport-Bild« eine Liste von 26 Männern, die dem Druck des Profisports nicht standhalten konnten und sich in psychologische Behandlung begeben mussten. Einige – wie Christoph Daum und Diego Maradona – griffen zu Kokain, um dem Leistungsdruck zu entfliehen. Andere – wie die Engländer Paul Gascoigne und Tony Adams – kompensierten ihn mit Alkohol. Die Ex-Fußballprofis Rainer Rühle und Guido Erhard trieben Depressionen sogar in den Selbstmord.

Betroffene als »Weicheier« und »Simulanten« verlacht

Alle diese Fälle wurden lange Zeit in der Öffentlichkeit aber nie wirklich mit Depressionen in Verbindung gebracht. Nur waren psychologische Probleme bislang ein Tabuthema. Erst durch den Fälle Deisler und Simak wurde die Öffentlichkeit sensibilisiert. Auch die Vereine denken darüber nach, psychologisch geschultes Personal in die Betreuerstäbe aufzunehmen, um derartige Krankheitsbilder frühzeitig zu behandeln. Denn »statistisch gesehen müsste in jeder Bundesliga-Elf ein Spieler betroffen sein«, so Professor Holsboer.

Der Hannoveraner Simak jedenfalls leidet unter dem sogenannten »Erschöpfungssyndrom«. Höchstwahrscheinlich ebenfalls eine Folge des Leistungsdrucks. Kraftlos setzte er sich Ende September in seine Heimat Tschechien ab. Auch er befindet sich in ärztlicher Behandlung. Wann er wieder spielen wird, ist nicht absehbar. Sein Fall ist beispielhaft für den Umgang mit derartigen Problemen in der Öffentlichkeit.

Nach Bekanntwerden von Simaks »Flucht«, war er in Deutschland schnell als Simulant verschrieen und wurde von vielen Profi-Sportler wegen seiner psychischen Probleme hinter vorgehaltener Hand als »Weichei« verlacht.

Hat Deisler mentale Stärke für Comeback?

Deshalb beschleicht den ehemaligen Deisler-Berater Norbert Pflippen auch ein ungutes Gefühl, wenn er an ein Comeback seines einstigen Schützlings denkt: »Nach seiner Rückkehr werden ihn die Mitspieler verarschen. Vor allem die Gegner. Er muss sehr stark sein, wenn er jetzt da herauskommen will.«

Die Zeit wird zeigen, ob Deisler diese Stärke nach seiner Rückkehr in den Profi-Fußball aufbringen kann, ob er mental in der Lage sein wird, sich nach überstandener Therapie wieder der harten Realität des Bundesliga- Alltags zu stellen. Unzweifelhaft ist aber, dass Deisler diese Stärke wieder gewinnen muss. Denn nur dann kann er sich wieder dem Druck des Bundesliga-Geschäfts stellen. Diese Zeit wird der FC Bayern seinem Spieler aber auf jeden Fall zugestehen. Schließlich gehe es jetzt um den »Menschen und nicht um den Spieler Deisler«, so Manager Uli Hoeneß. Mut macht auch die Einschätzung des Psychologen Holsboer, der eine Fortsetzung der Karriere seines Schützlings in »keinster Weise gefährdet« sieht.

Malte Asmus

Link:
FC Bayern München

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