brainstorms! dein onlinemagazin.
 bilder     magazin     b!fragt     interaktiv     mail 

 magazin »     unterhaltung  kino+kultur  musik  politik  sport  auto  berliner platz 
   

Die tote Stadt

Erich Wolfgang Korngold war ein gefeiertes Wunderkind, das sein erstes Bühnenwerk mit elf Jahren veröffentlichte und später nach Amerika ging, um für Hollywood zu komponieren. Das rettete den Österreicher jüdischer Abstammung vor den Nazis, die seine Musik als "entartet" bezeichneten. Korngold bekam zwei Oscars für seine Filmmusiken, wurde aber in Europa fast vergessen. Seine bis heute bekannteste Oper, "Die tote Stadt", schrieb er im Alter von 22 Jahren nach einem Libretto seines Vaters. In der Deutschen Oper hatte das Werk in der Regie von Philippe Arlaud am 25. Januar 2004 Premiere.

Silvana Dussmann / Stephen Gould
Foto: Deutsche Oper/ Bernd Uhlig
Paul hat sich nach Brügge, in die "tote Stadt", zurückgezogen, um seiner Frau Marie nachzutrauern. Sein Haus hat er in einen Schrein für die Verstorbene verwandelt. Als er der Tänzerin Marietta begegnet, glaubt Paul, in ihr die Tote zu sehen und ist hin- und hergerissen zwischen ihr und der Treue zu Marie. Er fällt in einen merkwürdigen Traum, in dem ihm eine Vision der Verstorbenen erscheint und an dessen Ende er Marietta ermordet und sich damit für Marie entscheidet. Paul erwacht, Marietta lebt, alles war nur ein Traum, doch Paul entschließt sich, ein neues Leben zu beginnen und die tote Stadt zu verlassen.

In Analogie zu Pauls surrealer Fantasiewelt hat der Regisseur Philippe Arlaud, der gleichzeitig als Bühnenbildner und Lichtdesigner fungiert, eine schrill-abstrakte Traumlandschaft auf die Bühne gestellt, deren Ästhetik zwischen Murnau-Film und Robert Wilson-Inszenierung changiert. Paul und sein Freund Frank tragen schwarze Anzüge und haben weiß geschminkte Gesichter; die Einwohner der toten Stadt scheinen dem Tod näher als dem Leben zu sein. Den Gegensatz als Verkörperung des Lebens bilden Marietta im grellrosa Kleid und ihre Truppe, die in bunten Kostümen Kunststückchen vorführen. Hierfür hat Arlaud eine halbe Artistenschule auf die Bühne geholt, inklusive Seilakrobatin, die sich in den Akt-Ouvertüren aus dem Schnürboden baumeln lässt.

Auch die wandelbaren Bühnenaufbauten und die vielfarbigen Kostüme (Andrea Uhmann) scheinen nach der Devise "klotzen, nicht kleckern" enstanden zu sein: Man staunt über Buntheit, Vielseitigkeit und Opulenz, doch wozu ein solcher Aufwand betrieben wird, oder warum (beispielsweise) auch noch tanzende Schweinchen auftreten müssen, wird nicht immer klar. Manches Kostüm, mancher Regie-Einfall ist eher albern als ästhetisch angemessen, aber trotz der gelegentlichen Überfrachtung stellt sich jedenfalls eine starke Atmosphäre her, vergleichbar mit der eines expressionistischen Films aus den 20er Jahren, der Entstehungszeit der Oper. Die tote Stadt ist ein Endzeit-Topos, eine Metapher für die Stimmung nach dem "Weltkrieg", den als ersten zu bezeichnen man damals noch keinen Grund hatte.

Opulent wie die Ausstattung ist auch Korngolds Musik. Seine Mischung aus Wagner, Puccini und Strauss ist genau das richtige für Christian Thielemann. Der führt das spielfreudige Orchester souverän und mit viel Kraft und wird am Ende von seinen Charlottenburger Fans am ausgiebigsten bejubelt, während der Regisseur, der offenbar nicht genug kriegen kann und peinlich oft auf die Bühne hüpft, einige Buh-Rufe erntet. Hervorragend auch die Solistenbesetzung mit Stephen Gould als Paul und Silvana Dussmann als Marietta/Erscheinung Mariens, die beide dem Kraftakt dieses knapp dreistündigen Fast-nur-Duetts gewachsen sind und noch dazu mit schönen Stimmen überzeugen. Auch die kleineren Rollen, etwa David Pittmann-Jennings als Frank und Reinhild Runkel als Brigitta sind sehr gut besetzt. Es ist ein anstrengender, anspruchsvoller Abend, viele Eindrücke wollen aufgenommen werden, und Korngolds Musik ist sicher nicht jedermanns Sache, wenn sie auch, für ihre Entstehungszeit, eher altmodisch ist - spätromantisch, nicht atonal. Wer jedoch Lust hat, auf Entdeckungsreise zu gehen und bereit ist, sich auf ein weniger häufig gespieltes, dennoch interessantes Werk einzulassen, der wird in der Deutschen Oper vielleicht eine Entdeckung machen.

Nora Mansmann

Link:
Deutsche Oper Berlin

frisch und neu
kino
musik
sport
politik
kultur
unterhaltung
bits+bytes
nach oben