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Don Giovanni ohne Zeigefinger

Wer kennt nicht Don Juan, den größten Liebhaber aller Zeiten, der jede Frau verführt und nie genug kriegt, der seine Eroberung noch am selben Tage wieder verlässt, um der nächsten nachzujagen? Unter den zahlreichen künstlerischen Verarbeitungen des alten Stoffes ist Mozarts Oper Don Giovanni eine der bekanntesten. Peter Konwitschny hat das populäre Werk an der Komischen Oper Berlin inszeniert.

Don Giovanni (Dietrich Henschel, links) und Diener Leporello (Jens Larsen)
Foto: gf-kuehn.de/
Zugrunde liegt eine neue deutsche Textfassung (Dramaturgie: Bettina Bartz und Werner Hintze), die zunächst fremd klingt und gewöhnungsbedürftig ist, aber doch Lorenzo Da Pontes Sprache behutsam und humorvoll modernisiert. Wie nicht anders zu erwarten, läuft die bekannte Handlung des "Dramma giocoso" nicht so ab, wie es sich der gemeine Opernbesucher vorstellt. Statt den Stoff zur Zeigefinger-Geschichte zu machen ("Also stirbt, wer Böses tat"), über die sich der brave Bürger dennoch amüsieren kann, weil er sich solcherlei Verfehlungen nicht zuschulden kommen lassen würde (oder sich jedenfalls nicht dabei erwischen lassen würde), bezieht Konwitschny die Geschichte des Don Giovanni auf den Zustand der Gesellschaft – der damaligen wie der heutigen.

Es geht um den Konflikt zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft, zwischen Regeln oder Konventionen und persönlicher Freiheit. Der liebestolle Lebemann wird bei Konwitschny zum unangepassten Abweichler, zu einem "der es einfach nicht einsieht, dass seine Aufgabe in dieser Welt darin bestehen soll, problemlos im Gefüge der Gesellschaft zu funktionieren", so der Regisseur im Programmheft. In der Inszenierung selbst wird diese Interpretation allerdings nicht plakativ in den Vordergrund gerückt, die Bezüge werden subtil hergestellt.

Erst am Ende wird Konwitschny deutlicher, als Don Giovanni, der mit seinem leuchtendgelben Mantel über weißer Unterkleidung zwischen den anderen Figuren in ihrer dunklen Ausstattung (Kostüme: Michaela Mayer-Michnay) schon visuell heraussticht, von der Gruppe seiner Widersacher unter Anleitung des Komturs (James Moellenhoff) in einen grauen Anzug gesteckt wird, wie ihn – gesellschaftskonform – inzwischen alle tragen. Der entmannte Liebhaber wird in den Sessel gedrückt, und dann werden Fotos gemacht: Sind das Jetzt-wird-alles-gut-Familienfotos mit einem friedlichen, endlich ruhiggestellten Opa Giovanni am Kamin, oder sieht man hier nicht vielmehr eine Gruppe Jäger mit ihrer Jagdtrophäe posieren? Die Strafe des Abweichlers besteht nicht aus der altertümlichen Höllenfahrt, sondern aus seiner zwangsweisen Einverleibung und Assimilierung durch die Gesellschaft – eine moderne und schlüssige Analogie.

Bis es soweit kommt, sieht der Zuschauer die Ermordung des Komturs (der hier Stadtkommandant heißt) mittels eines Regenschirms, eine sich anbahnende lesbische Beziehung zwischen Donna Elvira (manieriert-hysterisch: Anne Bolstad) und Donna Anna (sehr kraftvoll: Bettina Jensen), mehrere Schießereien und einige Orgien, die sich immer zu ereignen scheinen, sobald Giovanni auf eine größere Menschenmenge trifft: Den Nonkonformisten umgibt eine eigentümliche Kraft, die andere Menschen für kurze Zeit aus ihrem angepassten, normalen Leben reißt – eine Befreiung?

Nicht nur die szenischen Brüche sind ein Merkmal der Inszenierung, auch musikalische kommen vor, für Opernpuristen und Anhänger der sogennanten Werktreue eine Todsünde, bei Konwitschny jedoch keine Provokation um der Provokation willen, sondern wichtige Momente mit eindrücklicher Aussage. Nach der Flucht des verkleideten Leporello (Jens Larsen) vor seinen Verfolgern, während der Arie "Il mio tesoro" (DEUTSCH!!!), stehen noch Donna Anna, Masetto (Florian Plock) und Don Ottavio (Finnur Bjarnason) auf der Bühne. Anna und Masetto kommen sich im Hintergrund tanzend näher - Ottavio an der Rampe, inbrünstig singend und klagend, merkt nichts davon. Plötzlich zieht Anna, gestört und genervt von ihrem schwafelnden, wenig handlungsfreudigen Verlobten, die Pistole und erschießt den Singenden mitten in seiner Arie. Die Musik bricht ab. Anna und Masetto verlassen die Bühne, Finnur Bjarnason richtet sich wieder auf und spricht des Text eines berührenden Briefes Mozarts an seinen Vater, in dem der Komponist den Tod als besten Freund des Menschen bezeichnet. Schon zu Beginn, während der Ouvertüre, hatte Konwitschny mit einer kurzen stummen Szene zwischen dem jungen Mozart und seinem Vater auf den Schöpfer des Werkes selbst Bezug genommen.

Musikalisch zeigt das Ensemble der Komischen Oper eine hervorragende Leistung. Zwar klingen in der vierten Vorstellung die ersten Takte des Orchesters etwas holprig, doch in den folgenden drei Stunden machen GMD Kirill Petrenko und seine Musiker den missglückten Anfang mehr als wett. Bewunderswert auch die Bereitschaft und Genauigkeit, mit der Konwitschnys ungewöhnliche Vorstellungen erfüllt werden, etwa das plötzliche, präzis gleichzeitige Abbrechen der Musik bei Ottavios "Tod". Das Solistenensemble ist durchweg zu loben, niemand fällt durch weniger gute Leistungen heraus, alle arbeiten auf dem gleichen, sehr hohen Niveau. Besonders bemerkenswert auch hier die zuverlässige Erfüllung Konwitschny'scher Sonderwünsche: Der Regisseur gibt seinen Sängern und Sängerinnen selten die Möglichkeit, sich vorn an der Rampe deklamierend dem Publikum im besten Licht zu zeigen. Bei ihm ist auch schauspielerisches Können gefragt und gefordert, Konwitschny hält seine Figuren immer in Bewegung, gibt ihnen Requisiten zum Spielen oder lässt etwa Don Giovanni während des Singens kopfüber an einer Leiter baumeln – was Dietrich Henschels (auch insgesamt) beeindruckender sängerischer Leistung keinen Anbbruch tut.

Als sich am Ende der Chor von Don Giovannis Widersachern aufstellt, um die Moral von der Geschicht' dem Publikum zu verkünden, bricht Konwitschny auch diesen Ansatz von Deklamationstheater: Noch bevor "Also stirbt, wer Böses tat" beendet ist, hören Orchester und Sänger einfach auf, eine Stimme, ein Instrument nach dem anderen bricht ab. Der Vorhang fällt. Peter Konwitschny lässt keinen Platz für den Ziegefinger.

Nora Mansmann

Link:
Komische Oper Berlin

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