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Die bröckelnde Zivilisation

Die Europäer hatten einen Traum: Nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges wollten sie eine gemeinsame Zukunft bauen. Immer zusammenhalten, näher zusammenrücken. Eine Wirtschaftsunion gründen. Diese Vision war ein Teil des großen abendländischen Traums, die egoistischen Ur-Instinkte im Menschen durch ethische, geistige, moralische Maßstäbe zu überlagern, durch Zivilisation. 50 Jahre lang träumte die westliche Welt diesen Traum, mit größeren oder kleineren Erfolgen. Insbesondere in den letzten 15 Jahren brachen die letzten Barrieren aus der Zeit des kalten Krieges, ging die Tendenz immer mehr Richtung Frieden und Zusammenarbeit zwischen Nationen. Dieser Traum scheint jedoch im Moment vorerst ausgeträumt zu sein.

Die Bürger der USA haben eine neo-konservative Gruppe an die Macht gebracht, die offensichtlich versucht, der Welt zu zeigen, wer der Chef im Hause ist. Eine Gruppe, die versucht das nachzuholen, was der "Schönes-Wetter-Präsident" Clinton 8 Jahre lang versäumt hat. Die amerikanische Regierung ist auf Expansionskurs, spuckt scharfe Töne, und die Presse sowie die Abgeordneten folgen ihr. Einstecken muss dabei nicht nur Saddam, sondern auch die Europäer. Die wiederum sind – innerhalb weniger Wochen – so zerstritten wie nie. Intrigen werden hinter den Rücken der Mit-Europäer gesponnen, Allianzen für oder gegen den Krieg geschlossen, es treten plötzlich Differenzen zutage, wo scheinbar gar keine gewesen sind und keine sein konnten. "Feiglinge!", schreien die einen, "Kriegstreiber!" die anderen, und Donald Rumsfeld schreibt Deutschland und Frankreich, die Kernländer Europas, gar als "altes Europa" ab. Die amerikanische Boulevardpresse titelt: "Unsere Soldaten sind für die Befreiung Frankreichs gestorben, doch Frankreich hat vergessen". "Blut für Öl!", schallt es aus Deutschland auf dem "Spiegel"-Titelblatt zurück.

Und das alles, obwohl es noch gar keinen Krieg gibt. Keiner der NATO- oder UNO- Staaten ist unmittelbar bedroht. Nirgendwo sterben Menschen, nirgendwo fallen Bomben, nirgendwo ist Not am Mann. All diese Differenzen entstehen "nur" bei der Frage, wie man auf das sture Verhalten eines Diktators reagiert. Ohne hinreichenden Grund ist dort, wo früher hoffnungsvolle Partner einer gemeinsamen Zukunft waren, heute ein Haufen zerstrittener Jungs. So einfach ist es also, die ruhmvolle Idee einer zivilisierten, partnerschaftlichen Welt zu kippen. So leicht distanzieren sich ehemalige politische Freunde voneinander. Ein Jammerbild, verglichen mit all den hoffnungsfrohen Idealen der letzten Jahre. Saddam freuts, und ebenso – wenn nicht sogar mehr – die Amerikaner. Die schüren diesen Streit mit Absicht, schafft er doch einen mächtigen Konkurrenten, der ihnen gerade den Rang abläuft, nämlich Europa, erst einmal ins Abseits. Die Europäische Union ist also nur in guten Zeiten tatsächlich eine Union. Schade für diesen wohl zu vorschnellen Traum. Aber schon Nietzsche wusste: "Staaten sind die kältesten aller Ungeheuer".

Alexander Archagelskij

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