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Fluch der Karibik

Pirates of the Caribbean

Es gehört schon ein gewaltiges Maß an Chuzpe dazu, sich im Jahre drei nach der Jahrtausendwende mit einer millionenschweren Großproduktion des verstaubten Genres der Piratenfilme anzunehmen, denn spätestens seit Ende der 50er Jahre lagen Hollywoods Piratenschiffe in den untersten Drehbuch- und Produktionsschubladen vor Anker.

Doch der Name Jerry Bruckheimer scheint auszureichen, um auch der abgewracktesten Seeräuber-Jolle wieder Wasser unterm Kiel zu verpassen und selbst vom tiefsten Meeresgrund noch filmproduktionermöglichende Golddublonen versunkener Kaperschiffe zu Tage zu holen. Mit einem Budget von über 140 Millionen Dollar und einem wirklichen Dreamteam bei Darstellern und Filmschaffenden machte sich der Blockbuster-Produzent an eine Revitalisierung des seit Jahrzehnten still dahinschlummernden Genres.

Orlando Bloom und Johnny Depp: Jungschmied und Chaotenpirat auf großer Fahrt.
Foto: Buena Vista
Wirklich Jerry Bruckheimer? Vielen Film-Puristen dürfte allein die Erwähnung dieses Namens die letzte Seezunge im Magen herumdrehen, zeichnete der Produktionsgigant doch zuletzt verantwortlich für filmische Tiefschläge wie den geistigen Steinschlag "Armageddon" und das tönern-hohle Patriotengeballer "Pearl Harbor". Aber entgegen allen Unheilsprophetien und Cassandrarufen gelang Bruckheimer mit "Pirates of the Caribbean" ein Seeräuber-Revival, wie es fulminanter, lebendiger und überzeugender kaum hätte ausfallen können.

Zu verdanken ist dieser ebenso unerwartete wie unzweifelhafte Erfolg, der sich in Amerika bereits mit einem rund 240 Millionen Dollar starken Box-Office-Erfolg niederschlug, nicht nur der ungewöhnlichen Zurückhaltung Bruckheimers bei allen künstlerischen Belangen des Films, sondern insbesondere und vor allen anderen dem Regisseur und dem Hauptdarsteller. Gore Verbinski lieferte nach zwei nicht sonderlich berauschenden Projekten – "Mäusejagd" und "The Mexican" (mit Julia Roberts und Brad Pitt) – Anfang dieses Jahres mit dem atmosphärisch unerhört dichten "Ringu"-Remake "The Ring" sein filmisches Meisterstück ab. Nun beweist er sich mit "Pirates of the Caribbean" als genauso versierter Arrangeur von knallbuntem, effektesprühendem und ebenso aufwendig wie liebevoll ausgestatteten Popcorn-Entertainment.

Die Schauspieler

Keira Knightley ist die bildhübsche Gouverneurstochter, die es zu retten gilt.
Foto: Buena Vista
Der zweite Volltreffer des Films ist eindeutig Johnny Depp: Er bietet als exaltiert-theatralischer Piratenkapitän Sparrow mit kajalgetönten Liedschatten, Goldzähnen und perlenverzierten Rastalocken eine Augen- und Ohrenweide, die den halben Film allein trägt: Eine schillernd-skurrile, ultra-schrille Antiheldenfigur zwischen John Silver, Zigeunerbaron und allürenhafter Drag-Queen mit mehr Pop-Appeal als Robbie Williams und Christina Aguilera zusammen. Johnny Depp, Spezialist für verschrobene Charaktere, legt seinen Jack Sparrow als hinreißenden Parade-Hysteriker an, als traumwandlerisch durch die turbulente Handlung mäanderndes Chamäleonwesen. Ein Taugenichts voller eulenspiegelhafter Unlogik und willkürlicher Akausalität ist dieser "schlechteste beste Piratenkapitän der Welt", ein tollpatschiger Traumtänzer, der seinen unstillbaren Geltungsdrang wie eine Primadonna auf der Opernbühne auslebt, zeitweise aber auch undurchschaubar, durchtrieben und bauernschlau daherkommt.

Kongenial ergänzen ihn Legolas-Darsteller Orlando Bloom, der als degengewandter jugendlicher Draufgänger in die Fußstapfen von Douglas Fairbanks tritt, Keira Knightley als bildhübsche und natürlich zu rettende Gouverneurstochter sowie der wunderbare Geoffrey Rush als Schurkenkapitän Barbossa. Angenehmerweise versuchen Regisseur Verbinski und seine Drehbuchautoren nicht einmal annähernd, ihrem Film auch nur einen Hauch von Ernsthaftigkeit zu verleihen oder eine halbwegs ernst gemeinte Geschichte zu erzählen, sondern offerieren ihre Freibeuter-Mär von der ersten, übrigens ungewöhnlich düsteren Szene (die eigentlich einen Schwenk in ein ganz anderes Genre erwarten lassen müsste) als herrlich abgefahrenen, zusammenrecycelten Zitatenschatz des Populärkinos. "Pirates of the Carribean" ahmt seine großen Vorbilder aus den 40er und 50er Jahren nicht nach, sondern feiert die Ikonen des klassischen Freibeuter- und Abenteuer-Movies.

Die Handlung

Hier heißt es nicht »Mantel und Degen«, sondern »Segel und Säbel«...
Foto: Buena Vista
Den dennoch recht einfallsreichen und äußerst kurzweiligen Plot legten die beiden "Shrek"-Autoren Ted Elliot und Terry Rossio als ebenso actionreiche wie klamaukige Achterbahnfahrt zur See an, wo jedes bekannte Klischee mit überschäumender Freude an parodistischer Übertreibung lustvoll auseinandergenommen und liebevoll seziert wird. Mit diebischer Freude wird da so manchem Schauer-Klischee der Boden unter den knöchernen Skelettfüßen hinweggezogen: Nie habe es nach einem Angriff des berüchtigten Piratenschiffes "Black Pearl" Überlebende gegeben, wird da von den üblichen verdächtigen Gästen einer Hafenspelunke gemunkelt. "Aber wenn nie einer überlebt hat, woher kommen dann die Berichte?" hält Johnny Depp dagegen – so einfach kann Dialektik sein.

Eine tiefe Verbeugung vollführt die Story vor allem vor zwei literarischen Vorlagen: Zum einen Robert Louis Stevensons "Schatzinsel", dem Archetypus aller Schatz- und Piratengeschichten, und – natürlich – Wilhelm Hauffs wundervoller "Geschichte von dem Gespensterschiff", auf dem eine Horde Verfluchter Nacht für Nacht ihren Mord an einem Derwisch neu erleben muss. Ein solches kreuzt auch in "Pirates of the Caribbean" die Route der Zuschauer und der Gouverneurstochter Elizabeth (Knightley), wobei ihr ein geheimnisvolles, goldenes Medaillon in die Hände fällt. Als das quer durch die Karibik randalierende freibeuterische Rabaukentum Jahre später davon Wind bekommt, überfällt es die Insel, auf der Elizabeth' Vater (Jonathan Pryce spielt als leicht unterbelichteter, aber letztlich gutherziger und liebevoller Papa energisch gegen sein eiskaltes Schurkenimage aus "Tomorrow never dies" an) Gouverneur ist, und lässt dabei nicht nur das Schmuckstück, sondern gleich deren holde Trägerin mitgehen.

»Piaster! Piaster!«
Foto: Buena Vista
Das kann allerdings ihren Verehrer, den schmucken Jungschmied Will (Orlando Bloom als glutvoller Anti-Legolas), nicht ruhen lassen. Glück für ihn, dass gerade der vogelfreie Chaoten-Pirat Sparrow (Depp) sowieso vor hat, ein Schiff zu kapern, um sich auf die nasse Fährte der Entführer zu setzen, mit denen er noch eine eigene Rechnung offen hat. Die sind allerdings auf Grund eines aztekischen Fluches zum einen ziemlich mies gelaunt, zum anderen aber auch unsterblich und damit dummerweise gegen alle konventionelle Waffentechnik des 18. Jahrhunderts immun. Was folgt, ist zweieinhalbstündiger, furiosester, rasanter Säbel-und-Segel-Kintopp mit so hohem Popcorn-Faktor, dass die Reling knattert, sich der Achtersteven biegt und das Bramsegel wackelt. Das optische Highlight bietet dabei zweifellos die nur im Mondlicht als solche erkennbare skelettierte Meute von Piraten-Zombies, bei denen Verbinski & Co. ganz unverblümt Sam Raimis "Army of Darkness" plündern und im finalen Gefecht gegen die knöchernen Unholde sogar dem guten alten Ray Harryhausen und seinen Stop-Motion-animierten Skeletten huldigt.

Einen kleinen Schwachpunkt muss man "Pirates of the Carribean" attestieren: Bei manchen Schauplätzen und Handlungsabfolgen – insbesondere beim Showdown in der Schatzhöhle – stellt sich beim Zuschauer ein gewisses Déjà-vú-Gefühl ein, was implizit bedeutet, dass hier einiges an Handlung hätte gerafft werden können. Doch das schmälert den Spaß am gesamten Freibeuter-Spectaculum letztlich nicht. Also Leinen los, Mast- und Schotbruch und klar zum Entern, ihr Hunde! Was das für Jerry Bruckheimer bedeutet, könnte niemand treffender auf den Punkt bringen als John Silvers berühmter Papagei, Kapitän Flint: "Piaster! Piaster!"

Johannes Pietsch

Link:
Offizielle Film-Website

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