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Gefühle, die man sieht»Hinter jeder Tür, an jedem Fenster, in jedem Gesicht gibt es eine Geschichte, die verdient, erzählt zu werden, denn sie ist mindestens so umfassend, interessant und leidenschaftlich, wie uns sonst nur unsere eigene Lebensgeschichte vorkommt.« (Rodrigo Garcia)
So verwirrend und zusammenhangslos dieses auch klingen mag, so fügt sich dieses Puzzle vor den Augen des Zuschauers während des Films Stück für Stück – ähnlich wie in "Magnolia" – zusammen und man erkennt, was diese Charaktere gemeinsam haben: es ist die Sehnsucht, die Sehnsucht nach Liebe. Die Idee zu diesem Film hatte Rodrigo Garcia (Sohn des mexikanischen Nobelpreisträgers für Literatur Gabriel Garcia Marquez), der zuvor hauptberuflich als Kameramann und Autor tätig war und nun mit "Gefühle, die man sieht" sein Regiedebüt feiert. Am Drehbuch arbeitete er drei Jahre, jedoch nicht alleine, sondern im konstruktiven Austausch mit anderen erfahrenen Drehbuchautoren. Der Produzent des Films, Jon Avnet, ist selbst auch ein bekannter Regisseur durch Filme wie "Grüne Tomaten", "Aus nächster Nähe" oder "The Red Corner". Er wollte den jungen Filmemacher bei der Realisierung des Films unterstützen, wobei das größte Problem anfänglich das fehlende Budget zu sein schien, was besonders für die Besetzung eine große Herausforderung darstellen würde. Jedoch wurde das Drehbuch in höchsten Schauspielerkreisen so enthusiastisch aufgenommen, dass trotz Mindestgagen hochkarätige Stars in diesem Film mitwirken wollten, da dieser Film für sie in erster Linie einen ideellen Wert hatte.
Die für ihre darstellerische Leistung in "Das Piano" mit dem Oscar ausgezeichnete Schauspielerin Holly Hunter mimt die Filialleiterin einer Bank, Rebecca Weyman, die aufgrund einer obdachlosen Frau, die sie vor der Bank trifft, zur Selbsterkenntnis gelangt. Holly Hunter gelingt es hervorragend und äußerst authentisch, diesen mehrstufigen Prozess darzustellen. Es berührt den Zuschauer, wenn er sie sieht, wie der sonst so kühlberechnenden Geschäftsfrau die Tränen über das Gesicht laufen, nachdem sie erkannt hat, wie herz-und gefühllos ihr Leben doch eigentlich ist. Die Rolle der lesbischen Tarotkarten-Legerin, Christine, übernahm Calista Flockhart, die durch "Ally McBeal" zu Weltruhm gelangte. Jedoch verbindet man Calista automatisch mit Ally, weshalb sie als Wahrsagerin auch wenig glaubwürdig wirkt, zumal die angewandte Gestik und Mimik komplett identisch mit denen der meurose-geplagten TV-Anwältin sind. Da können auch die verstrubbelten Haare und die recht alternative Kleidung diese Wirkung nicht mindern. Doch abgesehen von dieser äußerlichen Divergenz schafft sie es weitreichend, den sehr emotionalen Charakter von Christine darzustellen. Cameron Diaz, Filmsuperstar durch weltweite Blockbuster wie "Drei Engel für Charlie", "Die Maske" oder "Verrückt nach Mary" überrascht in diesem Independentfilm durch die Rolle der blinden Carol Faber. "Carols Bewusstsein ihrer Sexualität [die sie mit vielen Männern auslebt] sowie ihrer physischen Präsenz bestimmt im Grunde ihr Leben" beschreibt Cameron das Wesen von Carol, so dass man zwangsläufig Parallelen zu Camerons "wirklichem" Charakter zieht. Wahrscheinlich nimmt man ihr auch deshalb diese Rolle ab. Der so ziemlich einzige handelnde männliche Darsteller in diesem Film ist Matt Craven, der im europäischen Raum recht unbekannt ist. Er mimt Walter, den stellvertretenden Bankdirektor, der erst einen One-Night-Stand mit seiner Chefin Rebecca und dann ein kurzes Intermezzo mit Carol hat, sowie zum Ende des Filmes Dr. Elaine Keener in einer Bar trifft. Er stellt sozusagen eine Verbindung zwischen diesen drei Frauen her. Matt Craven gelingt es zu zeigen, dass auch Männer emotional zerrissen und sich in unzählige Liebschaften stürzen können, obwohl sie sich eigentlich ein geregeltes und erfülltes Leben wünschen.
Jedoch wird die recht trostlose Handlung durch die unterlegte Musik etwas belebt, was auch durchaus beabsichtigt war. Rodrigo wollte eine Filmmusik, "die romantisch und gelegentlich komisch sein sollte, da ja der Film an keiner einzigen Stelle romantisch ist, und die Musik ein Gegengewicht bilden sollte." So hat der Film auf den Zuschauer zwar eine recht depressive Wirkung, jedoch gibt es Hoffnung. Da fällt einem ein Zitat der Tarotkarten-Legerin Christine ein: Verzweifeln Sie nicht! So sieht es zwar im Moment aus, aber Sie alleine können ihr Schicksal bestimmen!" Doch hat der Film mehrere Aussagen; so formuliert Holly Hunter das zentrale Thema des Films folgender Maßen: "Ich glaube, der Film handelt von der Liebe. Es geht um die schwerste Art der Liebe, nämlich die zu SICH SELBST. Und ich glaube der Film erfasst völlig, wie rätselhaft all diese Dinge letztendlich bleiben." In den letzten Minuten des Films überlegen die beiden Schwestern Carol und Kathy, was die Todesursache der unbekannten Frau (die in allen Szenen [z.T. im Hintergrund] zu sehen war, jedoch nie ein Wort sagte) sein könnte. Und auch der Zuschauer grübelt über die Bedeutung dieser Figur nach und verfolgt die Vermutungen der Schwestern mit größter Aufmerksamkeit. Nach mehreren Hypothesen jedoch beendet die scharfsinnige Carol die Diskussion mit den Worten: "Nur ein Idiot würde über das Leben einer Frau spekulieren. .Wir werden nie erfahren, was sie dachte und das ist gut so. Das sind Dinge, die man nicht erzählen kann." Ebenso geheimnisvoll und ungelöst endet auch der Film – man kann zwar vermuten, wie es weitergeht, aber man kann es gewiss nicht wissen. Wer gerne mal einen nachdenklichen und sehr emotionalen Film sieht, wird an "Gefühle, die man sieht" sicherlich (großen) Gefallen finden. Und obwohl dieser Film vorrangig die Zielgruppe der allein stehenden Frauen über 30 zu haben scheint, ist er auch den Männern zu empfehlen, die Interesse an einem Einblick in die weibliche Psyche haben. Matin Tirmizi |
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