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Hundehotel

Geheimtipp!

"Nichts ist wahr! Die Mauer ist gefallen / Eltern lügen - warum soll man sich noch an Gesetze von Menschen halten?" Der junge Marvin, ein ganz normaler 25-jähriger, der sich ebenso im Drogenrausch treiben lassen kann wie er ernsthaft über Umweltprobleme nachdenkt, steht zwischen Verachtung für die Eltern-Generation und dem Bedürfnis nach Leitung. In einer immer schneller sich individualisierenden Welt sucht er nach etwas, woran er sich festhalten kann. Gott? Drogen? Die Natur?

»Riech an mir, das ist ehrlich«
Foto: kulturamt-pankow.de
Die Inszenierung "Hundehotel", die die junge Autorin und Regisseurin Mareike Mikat als Synthese dreier eigener Monologe im Theater unterm Dach auf die Bühne bringt, stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens heute ebenso wie die Frage nach Utopie und Idealismus nach dem Untergang der alten Ideologien. Drei unterschiedliche Personen und ihre Lebensentwürfe werden gezeigt: Der Abwasserrohrtechniker aus der DDR, der im Westen nicht heimisch wird, die einsame Hausfrau, die einem rätselhaften Mann verfällt, der sie zerstört, weil sie sich zerstören lässt, und der junge Marvin, der in der leise mitschwingenden symbolischen Vater-Mutter-Sohn-Konstellation zwischen den beiden steht. Der Blick erweitert sich aus dem Individuellen auf die Familie und damit auf die Gesellschaft. Es ist eine Gesellschaft um 2000 in Deutschland, die Gesellschaft aus der Sicht der Nachwendegeneration, der sowohl die 24-jährige Regisseurin als auch ihre Hauptfigur "Marvin" angehört.

Marvin, der sich selbst als Engel bezeichnet, erweist sich als Motor einer großen Maschine, in der alle Figuren feststecken. Das Hundehotel ist eine Zwischenwelt, vielleicht das Fegefeuer für die gefallenen Menschen der heutigen Zeit. Wieder einmal muss die Jugend den Karren aus dem Dreck ziehen für die Alten, die sich am Ende ihrer gescheiterten Leben in eine ausweglose Situation gebracht haben. Er sei ein Engel, behauptet Marvin, und es bleibt offen, ob diese Überzeugung ihn nur im Drogenrausch erreicht, oder ob nicht doch was Wahres dran ist.

Diese Offenheit fürs Selber-Denken, für die Fantasie des Zuschauers ist ein wichtiger Faktor der assoziations- und bilderreichen Inszenierungen Mareike Mikats, die an Brechts Theorien, der DDR-Theatertradition, der Castorf'schen Volksbühne, vor allem aber an Armin Petras geschult ist, an dessen Produktionen sie jahrelang unter anderem als Assistentin und Schauspielerin mitgewirkt hat. Aber Dogmatismus, Lehrstückhaftigkeit ist Mikats Sache nicht, niemals würde sie den Vorgaben der großen alten Theaterheroen blindlings folgen, ihr eignet eine gesunde Respektlosigkeit vor jeglicher Autorität.

"Hundehotel" bietet intelligentes, schwieriges, kritisches Theater, dass dennoch nicht todtraurig und seriös, schon gar nicht belehrend daherkommt, im Gegenteil. Mit viel Humor und Fantasie ihre geringen finanziellen Mittel ausschöpfend bringt die kunstfehler produktion - wie Mareike Mikat ihr sich immer wieder neu konstituierendes Team nennt - einen Theaterabend auf die Bühne, der nicht nur in der Off-Szene seinesgleichen sucht. Die fehlende Drehbühne des gerade mal drei Meter hohen Raumes im Theater unterm Dach wurde kurzerhand durch ein Dreh-Bühnenbild aus drei voneinander unabhängig beweglichen Wänden ersetzt, was nun dem Raum noch viel mehr Möglichkeiten öffnet als eine Standarddrehbühne bieten könnte. Zusammen mit der spannend- vitalen, oft beunruhigenden Bühnenmusik der Berliner Gruppe audiokollektiv, die speziell für "Hundehotel" entstand, verhilft dieser sehr eigene Bühnenraum von Marie Roth, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, dem Abend zu einer Atmosphäre, die ganz den Texten und der Inszenierung entspricht.

"Hundehotel" ist keine Laienproduktion, wie sie dem Zuschauer im undurchschaubaren Dschungel des Berliner Off-Theaters häufig begegnen kann, die Darsteller sind ausgebildete Schauspieler: Andrej Kaminsky ("Mann") besuchte die renommierte HfS Ernst Busch und gehört, wie auch Diana Neumann ("Frau"), zur Riege der langjährigen Petras-Schauspieler, mit denen der inzwischen höchst angesagte Regisseur immer wieder zusammenarbeitet. Nico Ehl ("Marvin"), das Nesthäkchen unter den Darstellern, kommt direkt von der Charlottenburger Schauspielschule, und präsentiert sich hier bei seinem Debüt auf dem freien Markt als vielversprechendes Talent.

Die hohe Professionalität, mit der das Team von kunstfehler produktion arbeitet, lässt kaum den Schluss zu, dass es sich neben den Darstellern bei fast allen Beteiligten um Studenten handelt. Wie die Regisseurin selbst, die an der HfS Ernst Busch Regie studiert, so sind auch die Ausstatterin, die Produktionsleiterin und die Regieassistentinnen (die gleichzeitig Dramaturgie, Pressearbeit, Requisiten, Musikeinspielungen usw. betreuen) alle zur Zeit Studierende verschiedener Berliner Hochschulen, die in ihren Semesterferien die anstrengende (schlecht oder überhaupt nicht bezahlte) Arbeit an einer Off-Theaterproduktion auf sich nehmen. Diesen Idealismus, der das ganze Team zu beseelen scheint, merkt man "Hundehotel" schon bei den Proben an. Deshalb ist mein Tipp für die beginnende Theatersaison in Berlin - bevor wir wieder in die Volksbühne, ins DT und in die Schaubühne rennen - Mareike Mikats "Hundehotel" im Theater unterm Dach.

Iwan N. Besdomny

Link und Infos:
Website des Theaters unterm Dach

Kartentelefon: (030) 42 40 10 80 (Liesel Dechant, TuD)

Vorstellungen am 25. bis 28.9., 11. und 12.10., 13. und 14.11. Eventuelle weitere Vorstellungen sind dem Spielplan zu entnehmen.

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