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Die Rückkehr der Inquisition?

Durch die zunehmende Bedrohung der Welt durch den internationalen Terrorismus wird zunehmend auch eine Fragestellung wieder aktuell, die vor gut 10 Jahren die Juristen beschäftigte. Man kann sie gewissermaßen als einen Testfall für den Rechtsstaat ansehen. Ausgelöst wurde sie durch einen Aufsatz eines Heidelberger Rechtsgelehrten Prof. Winfried Brugger. Er bildete den folgenden Fall: Angenommen, die Polizei in einer deutschen Großstadt fasst einen Terroristen. Er behauptet - und zwar sehr glaubwürdig -, dass er irgendwo eine Bombe platziert hat, die in 2 Stunden hochgehen und die ganze Stadt verwüsten wird. Da sie auch chemische Kampfstoffe in sich trägt, werden mehrere Millionen Menschen sich in den Tod quälen. Die Polizei überlegt daraufhin: Für eine Evakuierung der Stadt sind zwei Stunden absolut unzureichend. Das einzige verbleibende Mittel ist es, den Terroristen zu foltern und so aus ihm die Wahrheit herausquetschen. Doch: Darf man das?

Nach geltendem deutschem Recht: Nein. Die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde thront nach wie vor über allem staatlichen Handeln, und so finden sich nirgendwo in den einschlägigen Polizeigesetzen Ermächtigungen zur Folter. Dieser Fall scheint aber ein Grenzfall zu sein. Man könnte (bösartig) fragen: Ist die Menschenwürde eines einzelnen Terroristen, der sowieso ein fragwürdiger Menschenwürdenträger ist, denn so gewichtig, als dass sie das Leben von Millionen von unschuldigen Menschen wert ist? Und so plädieren einige Juristen dafür, in solchen Ausnahmefällen die Folter ausnahmsweise zuzulassen. Schließlich stehen Menschenleben auf dem Spiel, und zwar nicht wenige. Und den einen "Rückfall in die dunkle Vergangenheit" wird der deutsche Staat ja wohl verkraften können; er geschieht ja auch für einen "noblen Zweck".

Rechtlich betrachtet, ist dies jedoch wohl einer der seltenen Fälle, in denen beide Lösungen, die zur Verfügung stehen, falsch sind. Denn: Einerseits darf man die Folter nicht erlauben, egal in welchem Fall. Erlaubt man sie einmal, so wird man - mit Recht - fragen dürfen: Wenn sie zur Rettung von Millionen Menschenleben erlaubt ist, warum denn nicht zur Rettung von Tausenden? Hunderten? Schließlich wollen zwei oder fünf Menschen ja auch leben. Hier die Grenze zu ziehen scheint schier unmöglich. Doch andererseits: Das Recht ist doch dazu da, die Lebensvorstellungen und Überzeugungen der Menschen, die sich diesem Recht unterwerfen, widerzuspiegeln. Und da ja alle, ausnahmslos alle Menschen, die von diesem Terroristen bedroht würden, der Folter ohne Zweifel zustimmen würden (man will ja überleben), was macht es dann noch für einen Sinn zu behaupten, das Recht verbiete es? Das Recht muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Und so dreht man sich als Jurist im argumentativen Kreis, ohne zu wissen, was in so einem Fall zu tun wäre.

Das Recht hat somit auf diese Frage keine Antwort parat. Und so muss man sich wohl mit einer kaum zufriedenstellenden Erkenntnis begnügen: Im Fall der Fälle würde der zuständige Polizeibeamte wahrscheinlich nur eine Lösung wählen, und zwar unabhängig davon, ob sie rechtlich zulässig ist oder nicht: Er würde gnadenlos sein und foltern, bis der Schweinehund gesteht. Eine rein emotionale, nachvollziehbare Bauchentscheidung ohne Blick ins Gesetz. Wir als Bürger wären damit wohl vor einer Katastrophe gefeit (vorausgesetzt natürlich, der Terrorist gesteht). Ein mulmiges Gefühl bleibt nach alledem trotzdem, da man hier erkennbar an die Grenzen des Rechts gestoßen ist.

Alexander Archangelskij

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