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Der Leopard von Singapur

"Diese Indien-Schnulze ist ein Desaster. Sie hat überall viel Geld eingespielt. Aber ich für meinen Teil hasse sie. Ein buntes Abenteuermärchen mit wackeren Helden, hilflosen Frauen und dunklen Bösewichtern - einfach liebenswert, die Scheiße!" Für sein neues Stück hat sich René Pollesch diesmal Fritz Langs "Der Tiger von Eschnapur" vorgenommen. Sein aktueller Theaterabend, der am 16. Oktober im Prater Premiere feierte, nennt sich "Der Leopard von Singapur".

Leopardendressur á la Pollesch.
Foto: praterteam.de
Für die Spielzeit 03/04 hat Bert Neumann ein großes rotes Zelt in der Nebenspielstätte der Volksbühne aufgeschlagen. Das Publikum sitzt auf Teppichen und dicken Kissen, durch bunte Vorhänge abgetrennt von den Darstellern in der Mitte und den anderen Zuschauern nebenan und gegenüber. Der Boden ist mit grobkörnigem Wüsten- oder auch Manegen-Sand bedeckt, auf einem Tischchen in jedem Raum steht ein Fernseher. Abgesehen vom Bühnenbild ist bei Pollesch alles beim Alten. Zunächst fühlt man sich an das letzte Prater-Stück, "Soylent Green ist Menschenfleisch", erinnert, wenn die Schauspieler hinter zugezogenen Vorhängen agierend sich gegenseitig filmen und die Blicke wieder einmal auf Bildschirme gelenkt werden. Doch die Abgeschlossenheit wird hier überraschend schnell aufgelöst, die Vorhänge werden aufgezogen, und gegenüber, wie im Spiegel, erscheint die anderen Hälfte des Publikums.

Dazwischen toben die Schauspieler in einer Kreuzung aus US-Military-Look und Burka-Chic und tauschen sich - wie üblich - schreiend aus über Kapitalismus, Globalisierung und "die Scheiße, die mein Leben ist!". Ein paar Vokabeln hat Pollesch, wie für jede neue Produktion, ausgetauscht, neue Lieblingsphrasen sind zu entdecken ("Wir sind verwaltete Bio-Scheiße!"), im Grunde aber bleibt die Aussage gleich, natürlich mit Tagesaktualität angereichert: Nicht nur das World Trade Center, Afghanistan, Irak und die humanitären Organisationen spielen eine Rolle; in einer hübschen Zirkus-Szene geht es um Siegfried und Roy und den Tiger-Angriff. Neben Inga Busch, Christine Groß, Petra Hartung, Marc Hosemann und Gordon Murphy Kirchmeyer darf auch die Souffleuse Tina Pfurr mitspielen und hat sogar eigenen Text.

Es ist ein für Polleschs Verhältnisse verhaltener Abend. Zwar greift der Regisseur nicht mehr auf das in "24 Stunden sind kein Tag" eingeführte Flüstern zurück, es wird aber doch weniger geschrien und auch andere konstituierende Elemente der früheren Arbeiten treten in den Hintergund. Dabei scheint auch der Text nicht die diskursiven Höhen früherer Pollesch-Werke zu erreichen - oder ist uns das Format einfach schon zu gut bekannt? Vermutlich liegt es im Wesen dieser rasend schnell geborenen, einander inhaltlich wie formal recht ähnlichen Stücke, dass es das absolute Pollesch'sche Erweckungserlebnis nur beim ersten Mal geben kann - so halte ich meinen ersten Pollesch (gleichzeitig der, den ich am genauesten kenne) - noch immer für seine beste Arbeit. Auf das Aha-Erlebnis des ersten Pollesch-Abends wartet man ein zweites Mal wohl vergeblich.

René Pollesch ist vorgeworfen worden, dass er sich seit den ersten erfolgreichen Stücken nur noch mehr oder weniger selbst kopiere. Beim Konsumieren seines neuen Theaterabends bleibt - wie auch bei den Vorgängerstücken - durchaus nicht verborgen, dass der Autor und Regisseur versucht, seine Ästhetik um neue Elemente zu erweitern - er bewegt sich dabei jedoch in den durch diese Ästhetik gesetzten engen Grenzen. Dass sich die Spirale des Wahnsinns nicht endlos weiter überdrehen lässt, dass es irgendwann nicht mehr radikaler, nicht mehr lauter geht, liegt auf der Hand und es ist auch gerade diesem eher verhaltenen Abend anzumerken. Wenn auch "Der Leopard von Singapur" wieder amüsiert und vielleicht auch den ein oder anderen Denkanstoß mitgeben kann, bleibt doch die Frage, ob René Pollesch nicht einfach mal was ganz anderes machen muss, um wirklich weiterzukommen.

Nora Mansmann

Link:
Praterteam

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