Matrix Reloaded
Die Fortsetzung des wohl großartigsten Science-Fiction-Films
der 90er Jahre ist endlich in die Kinos gelangt. Kann der zweite Teil der
Matrix-Trilogie den hohen Erwartungen der Fans gerecht werden? Lässt sich der
erste Teil überhaupt noch steigern?
Die Scheinwelt
Schon das berühmte Höhlengleichnis aus Platos "Politeia"
formuliert den Gedanken, dass der Großteil der Menschheit in einer fortwährenden
Illusion über wahre Beschaffenheit des Seins und der Welt dahinvegetiert. Dass
die Welt, die Gesellschaft, die Zivilisation oder die Menschen um
uns herum nur schaurig-schöner Schein und vorgegaukelte Fassade seien,
hinter der sich die (zumeist viel erschreckendere) Realität verbirgt,
ist eins der am häufigsten verwendeten Motive der Science-Fiction-Literatur.
Bereits 1967 schrieben die Autoren James Blish, Alexei Panshin und
Joanna Russ, die verbreitete Paranoia in der Science Fiction leite sich
aus deren Wurzeln in der Gothic Novel her: Im Schauerroman sei niemand
je sicher vor Bedrohungen, die willkürlich jeden von uns zu jeder Zeit
treffen können.
Seither hat die Science Fiction stets auch als eine Arena für sämtliche
paranoiden Vorstellungen gedient, die Menschen je erdacht haben,
angefangen von Phantasien Arthur Conan Doyles und Jules Vernes über
Fassbinders "Welt am Draht", Verhoevens "Total Recall" bis hin zu "Dark
City" und den telegenen FBI-Ermittlern Fox Mulder und Dana Scully, die
unaufhörlich nach der "Wahrheit irgendwo da draußen" fahndeten. Noch nie
dürfte jedoch das paranoide Motiv von der geträumten Scheinrealität so
konsequent, so massenwirksam und zugleich für das Genre wegweisend
umgesetzt worden sein wie anno 1999 in Larry und Andy Wachowskis
"Matrix": Die Welt, die wir zu kennen glauben, gibt es gar nicht. Sie
wird uns von Computern künstlich vorgegaukelt, die tatsächlich die
Menschen einzeln in Tanks halten und ihren Stoffwechsel zur
Energiegewinnung ausbeuten. In der Matrix, wo die Welt nur eine
Simulation ist, sind die filmischen Möglichkeiten unbegrenzt: Menschen
können in Minuten Kung Fu lernen, sie fliegen, weichen Geschossen aus
und tragen in tiefster Nacht die coolsten Sonnenbrillen. In
tricktechnisch atemberaubend und filmästhetisch bahnbrechenden Bildern
ließen die Wachowskis einen kleinen Trupp von Freiheitskämpfern sowohl
außerhalb als auch innerhalb der Simulation zum Kampf gegen die
(bereits in James Camerons "Terminator" ähnlich postulierte) Herrschaft der Maschinen
antreten. "Matrix" definierte das Genre des Cyber-Thrillers neu, reihte
sich nahtlos ein in zeitlose Werke wie "Tron" oder "Blade Runner" und
verursachte bis heute ungebremste, allerdings auch sehr genau
kalkulierte und eingeplante Fanhysterie.
Die Fortsetzung
Mit "Matrix Reloaded" hat das visionäre Brüderpaar jetzt die
langerwartete Fortsetzung vorgelegt, die im Herbst mit "Matrix
Revolutions" zur Trilogie komplettiert werden soll. Ähnlich der "Lord of
the rings"-Trilogie und noch ähnlicher der "Back to the future"-Trilogie
wurden Teil zwei und Teil drei größtenteils zusammen gedreht und gehen
inhaltlich direkt ineinander über, was wie in "Back to the future 2"
durch einen sehr abrupten Cliffhanger am Ende von Teil zwei realisiert
wurde.
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Trinity (Carrie-Anne Moss) und Morpheus (Laurence Fishburne). |
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"Matrix Reloaded" stellt sich optisch und stilistisch, in Design und
Ausstattung als ausgefeilte, stellenweise grandiose Steigerung gegenüber
dem Vorgänger dar, präsentiert sich dafür aber inhaltlich mit einigen
unübersehbaren Schwächen. Dabei braucht die zweite "Matrix" noch
wesentlich länger, um gemessen an dem von dem Vorgänger gesetzten
Action-Standard Fahrt aufzunehmen. Zwar beginnt der Film mit einer
grandios in Szene gesetzte, in hypnotisierender Zeitlupe exerzierten
Kampfsequenz zwischen Trinity und einem Agenten, welche Trinitys Sprung
durch ein Fenster in der Eröffnung des ersten "Matrix" wiederholt und
zugleich fulminant steigert, doch danach wechselt die Handlung schnell
in sehr bodenständige, reale und gegenständliche Gefilde. In einem
ungewöhnlich lang ausgespielten, schwerfälligen, geradezu lethargisch
inszenierten ersten Teil lernt der Zuschauer Zion kennen, die letzte,
weit unter der Erde angesiedelte Bastion freier Menschen, der Menschen
also, die sich also mit Hilfe der Rebellen aus der Gefangenschaft als
lebende Energielieferanten für die weltbeherrschenden Maschinen befreien
konnten.
Hier finden Neo (Keanu Reeves), der sich nur langsam mit seinem Status
als messianischer Welterretter anfreunden kann, Morpheus (Laurence
Fishburne) und Trinity (Carrie-Anne Moss) kurzzeitig Rekonvaleszenz,
bevor es zurück in die Schlacht gegen die menschheitsversklavenden
Maschinen geht. Die sind inzwischen dank ausgefeilten Bohrgerätes auf
dem besten Weg, das viele tausend Meter unter der Erde gelegene Zion mit
einer gigantischen Armada von Wächtermaschinen zu erreichen, um den
letzten freien Menschen den Garaus zu machen. Während die Killer-Roboter
unaufhaltsam näher rücken, entbrennt in Zion die ideologische Debatte,
wie man der Bedrohung Herr werden kann: Durch militärische Verteidigung,
wie es der pragmatische Commander Lock (Harry J. Lennix) fordert, oder,
indem man die Prophezeiung des Orakels (Gloria Fosrer) sich erfüllen
lässt, nach derer der Krieg automatisch durch den Auswählten bei
Erreichen eines bestimmten Ziels in der Matrix beendet wird – so die
Marschrichtung von Morpheus.
Schon an dieser Stelle gibt "Matrix Reloaded" erzählerisch eine Menge
jener abstrakten, unwirklich anmutenden, surrealen Atmosphäre preis, die
den ersten Teil so prägte. Insbesondere der Mythos der Figur Morpheus
wird gebrochen: Der Gott des Schlafes, der Wegbereiter des Auserwählten
und charismatische, spirituelle Renegat des ersten Teils ist auf einmal
nicht mehr die übermenschliche, prophetische und unfehlbare
Rebellen-Persönlichkeit, sondern als Kommandant eines Zion-Schiffes nur
einer unter vielen gleichrangigen Militärs dieser ameisenstaatähnlich
organisierten Subkultur, der sich überdies in seiner sehr metaphysischen
Sicht der Dinge gegen die nüchterne und rationale Denkweise der übrigen
Zionisten behaupten muss. Die politische Führung der subirdischen
Kolonie erweist als ebenfalls sehr menschliches Sammelsurium von
ausgerechnet Senatoren genannten, zumeist weißhaarigen und formschön
hochtoupierten Respektpersonen und erinnert in seiner genuinen
Bodenständigkeit fatal an ähnliche politische Gremien diversester zweit-
bis viertklassiger Science-Fiction-Werke.
Die nächste Expedition in die Matrix gibt der Handlung zwar nicht allzu
viel ihres metaphysischen Fundaments zurück, legt aber zumindestens die
Action-Gangschaltung des Films wieder in den Schnellfeuer-Modus. Dabei
legt "Matrix Reloaded" sein im ersten Film sehr konsequent
durchgespieltes Schwarz-Weiss-Schema bei der Charakterisierung von
Freund und Feind ad acta. An Stelle einer klar umrissenen Gruppe von
Gegenspielern – den wie immer schwarzbebrillten, gnadenlos kämpfenden
und fast unbesiegbaren Agenten – eröffnet das Sequel ein ganzes
Panoptikum neuer virtueller Matrix-Bewohner. Bekämpft werden müssen
unter anderem der mondäne, zwielichtige Unterweltfürst The Merovingian
(Lambert Wilson) mitsamt seiner Handlanger, aber auch der abtrünnig
gewordene und seit seinem Duell mit Neo zur ungebremsten
Vervielfältigung befähigte Ex-Agent Smith (Hugo Weaving).
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Mit dem Samurai-Schwert in den Kampf: Morpheus (Laurence Fishburne). |
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Auch mit dem Keymaker (Randall Duk Kim) tritt "Matrix Reloaded" in
ungewohnt ausgetretene Mainstream-Pfade. Er ist nichts anderes als der
typische McGuffin, das Objekt der Begierde, um das zwischen Neo und
seinen Freunden auf der einen, den Agenten sowie den Handlangern des
Merovingian auf der anderen Seite der Action-Orkan der zweiten
Filmhälfte entbrennt. Nach diversen rasend schnell inszenierten
Kung-Fu-Kämpfen, die diesmal (gewollt) noch viel synthetischer wirken
als im ersten Teil, dafür dem Handlungsfluss bisweilen eher im Weg
stehen anstatt ihn voranzubringen, erhält "Matrix Reloaded" in einer
furiosen und ganz offenkundig von William Friedkins inspirierten
Verfolgungsjagd auf einem Freeway seinen an Rasanz kaum zu überbietenden
optischen Höhepunkt – ein brachiales Bildergewitter, welches die
Höhepunkte des ersten Teils mühelos übertrifft.
Darstellerisch wird "Matrix Reloaded" überwiegend getragen von der wie
immer wunderbar kühl-androgynen Kriegerin Carrie Anne Moss als Trinity
sowie Laurence Fishburn, der die Rolle des Ausbilders, wegweisenden
Freundes und spirituellen Führer für den auserwählten Neo mit der dazu
nötigen gravitätischen Kraft auszufüllen vermag. Keanu Reeves enttäuscht
mimisch (erneut) auf der ganzen Linie, was aber seinem funktionell
ungewöhnlich schmal angelegten Part durchaus entspricht: Es ist schon
bezeichnend, dass mit der Freeway-Verfolgungsjagd das spektakuläre
Action-Highlight des Films praktisch ohne ihn auskommt.
Der heimliche Hauptdarsteller des Films ist jedoch der charismatische
Hugo Weaving. Eine Art hasserfüllte Blutsbrüderschaft verbindet ihn mit
Neo, dem er einerseits seine Freiheit verdankt, andererseits aber auch
die Qualen, die ihm menschliche Empfindungen bereiten. War der erste
Matrix ein von bleierne Ernsthaftigkeit getragener Film, so bringt die
Figur des Agent Smith zum ersten Mal Humor und damit indirekt die Frage
nach der Menschlichkeit von Maschinen ins Spiel – Ansätze einer
hintergründigen Parodie auf die Eigenarten von Computersoftware sowie
einige philosophische Spekulationen über das Wesen von Künstlicher
Intelligenz und die Symbiose zwischen Menschen und Maschinen sind
unübersehbar. Ansatzweise gibt der Film sogar die Antworten, zu denen
Steven Spielberg in seinem misslungenen "A.I." noch nicht einmal die
Fragen stellte. Schon im ersten Teil blitzte dieses Thema für einen
winzigen Moment auf – als Chef-Agent Smith gegenüber dem gefangenen und
gefolterten Morpheus begann, über seine Unzufriedenheit als
Computerprogramm zu monologisieren. Do androids dream of electric
sheeps?
Erst im Finale fokussiert sich die Handlung wieder auf Neo und gibt dem
Film einen für den von den Wachowskis geschaffenen Mythos
symptomatischen, in der Radikalität seines Schwenks aber nicht
erwarteten Schlussakkord: Neo tritt nach durchstandenem Handkanten- und
Kugelhagel durch eine Tür in eine neue Daseins- oder Bewusstseinssphäre,
die sich gegenüber der vorherigen Materialschlacht wie das Auge eines
Hurricans ausnimmt. Dem dort angetroffenen "Architekten" (Helmut
Bakaitis) steht der Auserwählte gegenüber wie Momo am Ende von Michael
Endes gleichnamigem Roman Meister Hora, wie Atréju in Endes "Unendlicher
Geschichte" dem Orakel, oder wie Dorothy in Frank L. Baums "Wizard of
Oz" dem vermeintlichen Magier – ein Zauberlehrling am Ziel seiner
Gesellenwanderschaft, um einen Teil der Wahrheit hinter all den
elektronisch-virtuellen Potemkinschen Dörfern zu erfahren, die um die
Matrix und auch um ihn, seine Bestimmung und seine Mission errichtet
wurden. Die Offenbarung erfolgt jedoch mit keinem schlagartigen
Aha-Effekt, sondern stückweise, in einem lang ausfabulierten Dialog,
unendlich philosophisch verbrämt und mit dem seit Teil eins gängigen
Vokabular verklausuliert – und natürlich ohne Garantie auf endgültigen
Wahrheitsgehalt. Ist es tatsächlich die Wahrheit, die Neo sowie
Zuschauer vom Architekten erfahren? Der Cliffhanger am Ende des Films
stellt alles wieder in Frage.
Fazit
Inhaltlich folgt der Film insgesamt zu stark dem Fortsetzungsgesetz des
Mainstreams, einerseits zu viel aus dem ersten Teil zu rekapitulieren
und gleichzeitig steigern zu wollen, naturgemäß aber das Rad nicht neu
erfinden zu können und dadurch automatisch hinter den grundsätzlich an
den am ersten Teil orientierten Erwartungen scheitern zu müssen. Dafür
weckt das wilde Genre-Konglomerat aus großkalibrigem Feuerwerk,
christlicher Erlöser-Mystik, Virtual Reality, Endzeit-Mythologie,
Gnostik, Techno-Furor und (wirklich erstklassigen) Sonnenbrillen noch
höhere Erwartungen an Teil drei – eine schwere Hypothek, die die
Wachowskis im November einlösen müssen.
Optisch perfektioniert das Brüder-Paar dagegen mit Kameramann Bill Pope
erneut das Prinzip der Bullet-Time-Fotografie, die Luftsprünge,
Hochhausstürze und Geschossflüge nach Belieben gefrieren lassen kann.
Mit der Opulenz ihrer Tricktechnik und Special-Effects-Wunder, dem
Gigantismus ihrer digitalen Delirien und dem Perfektionismus ihrer
Kampf-Choreographien setzen die Wachowskis erneut Maßstäbe für alle
Epigonen: Das Design bestimmt das Bewusstsein.
Johannes Pietsch
Link:
Offizielle Film-Website
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