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Was wäre, wenn...

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Aus Sparzwängen muß ein Gebäude geopfert, sprich abgerissen werden. Da der Kulturetat ohnehin zu hoch ist, entschließen sich Feinde des guten Geschmacks, ausgerechnet die Philharmonie dem Erdboden gleichzumachen. Der Widerstand dagegen bündelt sich im folgenden Eil-Antrag, dessen Wortlaut "brainstorms" zugespielt wurde.

Einziger Tagesordnungspunkt der Abgeordnetenhausdebatte zum Thema "Verschönerung der Stadt durch Kosteneinsparung": Stefan Ewerts Antrag "Apologie der Philharmonie".

Schon allein der Name der Philharmonie ist wegweisend: Er setzt sich zusammen aus den beiden griechischen Wörtern "philos", was als Substantiv "Freund" oder "Anhänger", als Adjektiv "lieb", "teuer" und "freundlich" und als Verb "küssen" und "liebhaben" bedeuten kann und "harmonia", was wiederum "Verbindung", "Ebenmaß" oder einfach "Harmonie" heißt. Also trägt dieses Bauwerk den fast lyrischen Namen "liebliches Ebenmaß".

Hans Scharoun ließ als Architekt dieses Gebäude von 1960 bis 1963 errichten, nachdem er bereits Ende 1956 den Zuschlag zum Bau der Philharmonie erhalten hatte. Der alte Konzertsaal der Philharmoniker in der Bernburger Straße, eine vormalige Rollschuhbahn, war 1944 zerstört worden, so daß ein Neubau nötig wurde.

Ursprünglich war geplant, dem weltbekannten Orchester an der Bundesallee eine neue Heimstatt zu geben, doch das Abgeordnetenhaus verlegte per Beschluß den Konzertsaal nach erfolgtem Wettbewerb an den Kemperplatz. Für Scharoun bedeutete dies, quasi um seinen fertig geplanten Konzertsaal herum, ein Gebäude zu konzipieren, denn an der Bundesallee hätte der Saal in ein bereits bestehendes Gebäude integriert werden sollen. Dieses Vorgehen dürfte einmalig sein!

Aber es ist ihm perfekt gelungen. Denn bei der feierlichen Eröffnung am 15. Oktober 1963 galt die Philharmonie als "Wahrzeichen freiheitlicher Baukunst, Beweis für die Lebenskraft der Stadt". In ihr zeigt sich eine Verschmelzung von "Spüren", "Hören" und "Sehen" zu einem Gesamterlebnis: Das großräumige Foyer mit seinen Treppenkaskaden, dem Gegen-, Zu- und Untereinander der Einzelteile kann vom Besucher erwandert werden und fordert seine Phantasie. Die 2200 Plätze des Saales steigen - wie im Amphitheater um das zentrale Orchesterpodium gruppiert - asymmetrischen Weinterrassen ähnlich auf eine Höhe von 22 Meter empor.

Scharoun verwirklichte hier bei exzellenter Akustik sein Motto, nach dem die "Musik im Mittelpunkt" stehen müsse. "Musikproduzent" (Orchester) und "-konsument" (der Zuhörer) bilden eine korrespondierende Gemeinschaft. Ein lebendiges Raumgefüge entsteht dazu mittels der pyramidalen Schallreflektoren, der frei schwebenden Schallsegel und der über 50 Lampen.
Alles gleicht dem Auf und Ab einer Partitur.

Durch diesen Konzertsaal wird auch die äußere, dynamisch-zeltartige Form der Philharmonie bestimmt. Der polygonale Grundriß trägt ebenso wie die verschiedenen Baumaterialien (Glas, Beton etc.) zur einzigartigen verwirrend-faszinierenden Charakteristik bei. Ein "Bau wie nach einem Erdbeben" umschrieb dies ein Kenner.

Famose Künstler wie Erich F. Reuter (Fußboden), Bernhard Heiliger (Skulpturen) oder Alexander Camaro (Glasflächen) vervollständigten das Werk Scharouns. In den Jahren 1978 bis 1984 fügte sein engster Mitarbeiter Edgar Wisniewski nach Plänen Scharouns nordöstlich das Institut für Musikforschung, das Musikinstrumentenmuseum sowie von 1983 bis 1988 südlich den Kammermusiksaal an. Die berühmte Außenverkleidung aus gelben eloxierten Aluminiumblechen brachte man ebenfalls in diesen Jahren an, da aus Kostengründen zunächst auf sie verzichtet wurde.

Und ein solches Gebäude soll zurückgebaut werden, wie es im schlichten Neudeutsch heißt? Niemals!

Schließlich ist Architektur gefrorene Musik. Und Scharouns "Musiklandschaft", in der Architektur als Fortsetzung der Kultur mit künstlerischen Mitteln begriffen wird, die Synthese also von Architektur, Kunst und Natur, realisiert sich in der geschwungenen Silhouette des Gebäudes.

Dieser Bau sucht seinesgleichen in der Welt. Daher sind die Worte des Wissenschaftssenators Arndt aus der Eröffnungsfeier gleichsam prophetisch: "Es gibt nur eine Philharmonie, Phantasie duldet keine Vervielfältigung, es wird nur eine Philharmonie geben, die zu Berlin."

Erhalten wir diese Einzigartigkeit!

Stefan Ewert

Links:
Berliner Philharmonisches Orchester: berlin-philharmonic.com

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