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Schtschi – Krautsuppe, tiefgefroren

Der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin hat mit seinem Stück "Schtschi – Krautsuppe, tiefgefroren" das Genre der negativen Utopie um eine interessante Variante erweitert: "Die grüne Bande" hat die Weltherrschaft übernommen und terrorisiert die Menschheit mit fanatischem Umweltschutz – dass jetzt vor jeder Tür statt zwei verschiedenen Müllcontainern zehn stehen, ist eine der harmloseren Auswirkungen. Das Maxim Gorki Theater zeigt "Schtschi" unter der Regie von Peter Kastenmüller auf seiner Studiobühne.

Der lange Arm der Gourmet-Mafia...
Fotos: Maxim Gorki Theater
Vor diesem Hintergrund baut Sorokin seine abgedrehte Parodie des Agenten- und Gangster-Genres auf, in der sich alles ums Essen dreht. Im Jahr 2040 wird die Erde nach ökologisch reinen Gesichtspunkten diktatorisch regiert. Produktion, Vertrieb und Genuss ökologisch schädlicher Nahrung werden drakonisch sanktioniert. Im sibirischen Straflager treffen sich Angehörige der international operierenden kulinarischen Mafia. Borschtsch à la Moskau, Koch mit Amtsgewalt, wird aus dem Lager geschleust und hat einen riskanten Auftrag zu erfüllen.

Zwischen Zuschauern und Spielfläche steht vorsorglich eine Plexiglaswand, ins Bühnenbild integriert, die die Darsteller ausgiebig für ihr Spiel nutzen und die das Publikum vor den Auswirkungen desselben schützt. In rasantem Tempo – und nicht ohne Geschmiere – entwickelt sich die Geschichte um Borschtsch (Oliver Masucci), der versucht mit Hilfe seines Borschtsch-Girls Larisa (Anya Fischer) die Pastuchow'sche Kollektion in die Hände zu bekommen, Fälschungen herzustellen und diese zu verticken. Es handelt sich dabei um eine Ladung tiefgefrorene Krautsuppe (Schtschi) unterschiedlicher Geschmacksrichtungen – eine Ware von unschätzbarem Wert. Auf dieser Mission begegnen Borschtsch und dem Publikum die skurrilsten Gestalten: die Köchin Blutwurst (Ursula Werner), die Mädchen als Sexobjekte anbietet, Chefkoch Luchs am Spieß (Rainer Kühn), der die dekadent-unglaublichesten Festmahle kredenzt, der Verräter Hammelkotelett (Ulrich Anschütz), dem fortwährend Blut aus einer Bauchwunde spritzt, oder die Lotsen (Frank Streffing, Norman Schenk), die für die Fortbewegung der Protagonisten verantwortlich sind und etwas zu penetrant auftauchen.

...erreicht so manchen braven Bürger.
Peter Kastenmüller erzählt die wilde Mixtur aus James Bond, Soylent Green, einem Dutzend Gangster-Filmchen und einem guten Schuss russischen Humor souverän und mit viel szenischer Fantasie. Die größte Schwierigkeit bei Sorokins intelligentem und gutgebauten Stück, ist, den Ton zu treffen und die Balance zu finden zwischen zu viel und zu wenig Ausgelassenheit. Durchweg albern, laut und schnell geht nicht: Kastenmüller stellt stille, gradezu besinnliche Momente neben drastische, eindruckvolle Bilder und Slapstick-Elemente. Nur gegen Ende wird es ein bisschen viel: da drehen die Figuren völlig ab, der Bühnenqualm vernebelt mehrmals gänzlich die Sicht – und doch wird das totale Chaos geschickt aufgelöst, indem das sich anbahnende eindeutige Finale sich in einer Unmenge an Möglichkeiten auflöst. Sorokins treffende Satire spielt ein Spiel, das keiner gewinnt, und egal, wer schließlich zu siegen glaubt: Freuen kann er sich nicht mehr darüber.

Nora Mansmann

Link:
Website des Maxim-Gorki-Theaters

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