Tommy - eine Rockoper auf Tournee
England, kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs: Der kleine Tommy
muss miterleben, wie sein totgeglaubter, aus dem Krieg heimkehrender
Vater den Liebhaber der Mutter im Streit erschießt. Von den Eltern
beschworen, niemals jemandem von der Tat zu erzählen, reagiert der Junge
fortan nicht mehr auf äußere Einflüsse: Er ist blind, taub und stumm
geworden. Nur sein eigenes Abbild nimmt Tommy noch war, reflektiert in
jenem Spiegel, in dem er den Mord mitangesehen hat.
Als The Who 1969 ihr Konzeptalbum "Tommy" veröffentlichten, führte die
britische Band ein neues Genre in die Popmusik ein: Die Rockoper war
geboren. Es folgte eine Verfilmung und in den 90er Jahren eine
Musicalversion, die zuletzt im eigens errichteten und leider alsbald
bankrotten Musicaltheater in Offenbach gespielt wurde. Jetzt ist "Tommy"
in einer Produktion von Miracle Music und WIV Entertainment auf Tournee
durch Deutschland: Eine Wiederauferstehung im wahrsten Sinne des Wortes,
denn die Tournee-Version erweist sich als abgespeckter Aufguss des
Vorgängers.
Die Ausstattung ist schlicht: Statt durch aufwändige Kulissen wird der
räumliche Rahmen der Bühne von schwarzen Vorhängen gebildet, auf denen
gelegentlich hübsch bunte Lichtprojektionen zu sehen sind - Anlehnung an
eine weitaus eindrucksvollere Offenbacher Lasershow. Wenige Requisiten
lassen Tommys Elternhaus mit seinem weißen Interieur - im Mittelpunkt
der klobige Spiegelschrank - oder die Pinball-Halle mit den knallbunten
Flipperautomaten erstehen. Etwas mehr Masse herrscht bei den Kostümen,
die häufig gewechselt werden müssen, noch dazu, da mehrere kleine Rollen
jeweils von einem Ensemblemitglied gespielt und gesungen werden. Den an
sich guten visuellen Gesamteindruck stört ein gewisser Mangel an
Authenzität: Eine historische Ausstattung braucht Konsequenz, um nicht
unprofessionell zu wirken. Nichts soll gesagt werden über kleine
Kostümfehler - man muss nicht zu pedantisch sein - doch die
zahlreicheren frisurlichen Unkorrektheiten stechen störend ins Auge, vor
allem die gehäuft auftretenden sehr langen Haare einiger Protagonisten
einer Geschichte, die in einem Zeitraum vom zweiten Weltkrieg bis zum
Jahr 1963 spielt.
Musikalisch hält sich die Band, die erst im Laufe des Abends hinter dem
letzten Vorhang zum Vorschein kommt, eher an The Who als an die
veroperte, klinischere Musicalversion. Sehr rockig gehen die
Instrumentalisten zu Werke, das Publikum lässt sich mitreißen, vor allem
in den Szenen, in denen die Musiker bei ihrer Arbeit zu sehen sind: Dies
sind die stärksten Momente der Show. Die Sänger/Schauspieler/Tänzer in
Personalunion präsentieren sich allesamt sehr fit und stimmlich
überzeugend, von nur gelegentlich auftretenden Manierismen bei der
Phrasierung abgesehen, bleibt hier ein entschieden positiver Eindruck.
Leider sind nicht alle Darsteller ausreichend sprachsicher, was sich vor
allem störend bei den wenigen (englischen) Sprechtexten auswirkt, wenn
Sätze fallen wie: "Tommy is coming in your town". Die Zuschauer lassen
sich von solchen Kleinigkeiten nicht stören: Nach einer Aufwärmphase
geht das Publikum begeistert mit und verabschiedet nach drei Zugaben die
Protagonisten eines unterhaltsamen Abends mit Standing Ovations.
Nora Mansmann
"Tommy" ist in Deutschland auf Tour.
Link:
Die Produktionsfirma WIV
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