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Das Berliner U5-Fiasko oder: Wie eine arme Stadt noch ärmer wird

In der gesamten Bundesrepublik ist die Finanzkrise der Hauptstadt ein tagespolitisches Thema. Ob im Streit um den Länderfinanzausgleich oder bei Verhandlungen Berlins mit dem Bund über die Zuschüsse für Kunst und Kultur - in allen Bereichen zeigt sich, es fehlt der Stadt an Geld. Zwar sind wahrlich nicht alle finanziellen Probleme Berlins selbstverschuldet, sondern beispielsweise einheitsbedingt, doch auch Berlin selbst arbeitet kräftig an der Vergrößerung des Haushaltsloch.

Ein teures Versagen der Stadtpolitiker zulasten der Steuerzahler läßt sich an der leidigen Diskussion um den Bau der U5, der sogenannten "Kanzlerlinie", festmachen.

Erklärte Absicht der Berliner Verkehrspolitik war es seit 1990, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) durch verschiedene Baumaßnahmen zu stärken. Autofahrer sollten durch attraktive Verbindungen und Preise zum Umsteigen animiert werden. Dazu war insbesondere geplant, das U-Bahnnetz - als "Grundgerüst" des Berliner ÖPNV - in der Innenstadt zu verdichten.

Hierbei kam schon allein durch den Hauptstadtbeschluß dem gut vier Kilometer langen Ausbau der U5, der bereits in den 30er Jahren geplant war, besonderes Gewicht zu: "Die bedeutendste ÖPNV-Maßnahme, die z. Zt. in Berlin vorbereitet wird, ist die Verlängerung der U-Bahnlinie 5 vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof", hieß es 1995 aus der Verkehrsverwaltung. Diese neue Trasse sollte großräumig die östlichen Bezirke mit dem Parlaments- und Regierungsviertel, dem Lehrter Bahnhof und - nach dem für später avisierten Weiterbau über Turmstraße, Jungfernheide, Flughafen Tegel bis zum Rathaus Reinickendorf - den Bezirken Tiergarten, Charlottenburg und Reinickendorf verknüpfen.

Weitere Gründe sprachen für die U5: Man prognostizierte 200.000 Fahrgäste pro Tag. Nur ein Massenverkehrsmittel wie die U-Bahn ist in der Lage, diese große Verkehrsnachfrage mit einer angemessenen Qualität, insbesondere mit einer ausreichenden Reisegeschwindigkeit, zu bewältigen. Für Fahrgäste des östlichen Einzugsbereiches der U5 ergäben sich deutliche Reisezeitverkürzungen durch einen schnelleren und leichteren Zugang zu den S-Bahnlinien 1 und 2 sowie zur U 6. Durch die Westverlängerung werde zudem der bereits bestehende U5-Abschnitt zwischen Alexanderplatz und Hönow aufgewertet. Relativ hohen Investitionskosten von 1,3 Milliarden DM steht ein äußerst günstiger Kosten-Nutzen-Indikator gegenüber.

Doch neben dem enormen Nutzen für den Berliner Nahverkehr hatte sich Berlin per Vertrag mit dem Bund 1994 zum Bau der U5 verpflichtet. Der Bund sollte rund 80 % der U-5-Kosten übernehmen, das Land Berlin die Differenz zu den Gesamtkosten (demnach ca. 250 Millionen DM von 1,3 Milliarden DM) tragen. Ihre Fertigstellung - geplant war 2002 - stand im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme des neuen Lehrter Bahnhofs und des Regierungsumzuges.

Und hier beginnt das Berliner Problem, ja der Skandal, der dieses Projekt umweht. Denn das erste Teilstück der U5 vom Lehrter Bahnhof bis zum Pariser Platz ist im Rohbau bereits fertiggestellt. Es fehlt jedoch die Verbindung vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor. Hieran entzündete sich eine jahrelange Berliner Diskussion, die mehr polemisch als argumentativ geführt wurde. CDU und SPD stritten sich um die U5 und ihren Nutzen. Die Kosten erschienen für die klamme Stadt untragbar. Währenddessen lag eine fertige Teilstrecke unnütz und nicht befahrbar im Untergrund.

So wurde die U5 völlig grundlos zerredet und als "Kanzler-U-Bahn" oder "Prestigeobjekt" verspottet. Planungen zu kritisieren und zu verändern, ist das gute Recht, bei unsinnigen Vorhaben sogar die Pflicht der politischen Entscheidungsträger. Im Falle der U5 sieht es etwas anders aus, denn hier hatte sich Berlin vertraglich zum Bau und einer klar terminierten Fertigstellung verpflichtet. Alle Gutachten unterstrichen die hohe Kosten-Nutzen-Relation und das Fahrgastpotential dieser Maßnahme.

Berlin hätte 1994 vor dem Vertragsschuß mit dem Bund klar signalisieren können: "Nein, wir wollen die Linie nicht." So wären viele Millionen von Steuergeldern (ca. 300 Millionen DM) gespart oder anders verwendet worden. Nun ist der Schaden beträchtlich, denn nach der jetzigen Entwicklung muß Berlin mehr Geld für den Stopp als für den Bau der U5 zahlen. Jedenfalls dann, wenn der Bund das Land tatsächlich, wie vom Bundesrechnungshof gefordert, in Regreß nimmt.

Das wäre für Berlin ein sehr teures Lehrstück und weiteres Beispiel dafür, wie sorglos die Politiker dieser Stadt mit dem ihnen anvertrauten Geld umgehen. So etwas scheint an der berühmten Berliner Subventionsmentalität zu liegen.

Zeitliche Verzögerungen beim Bau öffentlicher Anlagen sind nichts neues. Auch führen langwierige Diskussionen über solche Vorhaben sehr häufig dazu, daß Planungen verändert oder umgestoßen werden. Doch in dieser Diskussion um die U5 ist unfaßbar unsachlich und ohne eingehende Kenntnis argumentiert worden: So gab es falsche Kostenangaben und Fahrgastzahlen zuhauf. Selten hatte wohl ein ÖPNV-Projekt einen so schweren Stand und eine dermaßen breite Verhinderungslobby gegen sich. Schlüssige Gründe dafür sind kaum zu finden.

Im Herbst sind Neuwahlen in Berlin, nach der eventuell eine andere politische Konstellation doch wieder den Bau der Linie beschließen und somit - nota bene - den Hauptstadtvertrag erfüllen könnte. Doch Vertragstreue darf in keinem Fall von politischen Mehrheiten abhängen! Das Beispiel der U5 wäre imstande, sich zu einem Präzedenzfall für die gesamte Berliner Politik der kommenden Jahre zu entwickeln. Gerade Berlin stellt immer wieder neue Forderungen an den Bund, er möge sich an den "hauptstädtischen Aufgaben" Berlins finanziell stärker beteiligen. Was ist nun aber von einem Land zu halten, daß seine vertraglich zugesicherten Gegenleistungen mutwillig nicht einhält? Es wird sich zeigen, ob der Bund und die Länder ein derartiges Berliner Gebaren fortgesetzt toleriert.

Bis dahin heißt es für die U5 einstweilen: "Zurückbleiben bitte!"

Stefan Ewert

Links:
Bericht in der Netzeitung: www.netzeitung.de/servlets/page?section=2&item=133402

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