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Martin Walser: Tod eines Kritikers

Kein deutscher Roman wurde in der letzten Zeit so heftig diskutiert wie Martin Walsers "Tod eines Kritikers". Angefangen hatte alles mit einem offenen Brief vom FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, in dem dieser Martin Walser Antisemitismus vorwarf und den Vorabdruck des Buches ablehnte.

Ein bisher nie da gewesener Paukenschlag: einen Autor und dessen Roman an den Pranger zu stellen, bevor dieser überhaupt erschienen ist. Im darauf entbrannten Streit prallten die Ansichten aufeinander. Zwar tauchte bald im Internet die pdf-Datei auf, die der Suhrkamp-Verlag zuvor an ausgewählte Leser verschickt hatte und die im Gnutella-Netzwerk nach wie vor problemlos auffindbar ist. Einer breiten Öffentlichkeit war es jedoch bisher nicht möglich, die vorgebrachten Argumente und den Vorwurf nachzuvollziehen. Am 26. Juni erscheint endlich der Roman, so dass sich jeder Interessierte eine Meinung bilden kann.

Das Buch handelt vom vermeintlichen Mord an einem Literaturkritiker namens André Ehrl-König. Verdächtigt wird der Schriftsteller, Hans Lach, der dadurch in Untersuchungshaft sitzt und schließlich sogar die Tat gesteht. Der Erzähler, Michel Landolf, versucht, Lachs Unschuld zu beweisen und begegnet dabei ausschließlich Menschen, die Ehrl-König hassen. Manche offen, andere versteckt, letztendlich aber alle aus tiefster Seele. Aufgrund Ehrl-Königs Übermacht hätte zu Lebzeiten jedoch niemand gewagt, dies offen auszusprechen. Am Ende erfährt man, dass Lach und Landolf ein und dieselbe Person sind, es wird deutlich, dass all die Hassphantasien einzig und allein von Hans Lach stammen. Zuvor ist jedoch der Kritiker wieder aufgetaucht. Er hatte sich lediglich mit seiner Geliebten vergnügt.

Martin Walser
Niemand, der die Debatte auch nur am Rande verfolgt hat, wird den Roman vorurteilsfrei lesen können. Das Augenmerk des Lesers wird dem Vorwurf des Antisemitismus gelten. Zum Stilistischen daher nur ein paar kurze Bemerkungen. Der Roman ergeht sich an manchen Stellen wie den Ausführungen eines Geisteskranken in den Walser-typischen, überflüssigen Abschweifungen. Die zahlreichen Neologismen wirken teilweise recht befremdlich. Lesevergnügen bereitet der Roman also nicht gerade, was aber durch die Vorgeschichte eher sekundär ist.

Der entscheidende Vorwurf des Antisemitismus resultiert nun daraus, dass Ehrl-König das Zerrbild Deutschlands bekanntesten Kritikers Marcel Reich-Ranicki darstellt. Das fängt schon beim Doppelnamen an. Ehrl-König besitzt eine unverwechselbare Aussprache, statt "Schriftsteller" sagt er "Schschscheriftstellerrr" und soll damit, wenn auch vollkommen überzogen, an Reich-Ranicki erinnern. Wie dieser ist Ehrl-König in der deutschen Literatur unvergleichlich mächtig. Ehrl-König trägt durchaus Züge von Reich-Ranicki, jedoch völlig ins Unsympathische übersteigert. Der Kritiker ist ein sexlüsternes Monster, alles an ihm wird als unsympathisch, geradezu hassenswert dargestellt. Das Buch ist damit tatsächlich, wie von Schirrmacher festgestellt, ein gegen Reich-Ranicki gerichtetes Dokument des Hasses. Die Offenbarung des Hasses eines verletzten Schriftstellers.

Marcel Reich-Ranicki
Da Ehrl-König, ebenso wie Reich-Ranicki jüdisch ist, drängt sich der Verdacht auf, dass das Buch auch eventuell antisemitisch sei. Als Beleg hierfür wird angeführt, dass der Roman den nationalsozialistischen Mord an Reich-Ranicki literarisch nachhole und dies mit einer aufgestauten Mordlust rechtfertige, die sich aus antisemitischen Klischees herleite. Diese Ressentiments sind jedoch keineswegs so offensiv, dass eine solche Deutung zwingend wäre. Wie Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung kann man diese Interpretation sogar auch in den Vorurteilen des jeweiligen Lesers begründet sehen. Um nicht falsch verstanden zu werden, die Mordlust ist unübersehbar, sie ist in höchstem Maße abstoßend und eines Schriftstellers vom Ruf Martin Walsers nicht würdig, aber der Roman ist dadurch nicht automatisch antisemitisch. Walser bestritt denn auch vehement, ein antisemitisches Buch verfasst zu haben. Erstaunlich ist jedoch, dass Walser den Skandal in seinem Buch vorhersieht: "Das Thema war jetzt, dass Hans Lach einen Juden getötet hatte." Walser hat also damit gerechnet, dass es zu einem Eklat käme, der die Verkaufszahlen nicht unerheblich steigern wird. Er hat also nicht unbedingt ein antisemitisches Buch geschrieben, aber er hat kühl kalkulierend einen Antisemitismusstreit provoziert, also Antisemitismus zur Steigerung der Verkaufszahlen benutzt. Dies ist nicht minder beschämend.

Bemerkenswert ist auch, dass sich das Buch mit jeder neuen Stufe, mit der es an die Öffentlichkeit gelangt, ein wenig verändert, dies jedoch in entscheidenden Punkten. So hieß es in der ursprünglichen, von Schirrmacher rezensierten Fassung noch über Ehrl-König: "Seit Freisler hat doch keiner mehr vor laufender Kamera mehr so rumgerudert und rumgebrüllt." In der anschließend verschickten Fassung heißt es dann jedoch nicht mehr "Freisler", sondern "Chaplindiktator". In seiner Fernsehlesung hatte Walser wiederum Änderungen vorgenommen. Am auffälligsten war der völlige Verzicht auf die im Buch so sehr hervorgehobene eigenartige Sprache des Ehrl-König, und damit einen zentralen Angriffspunkt der Kritik. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit die endgültige Fassung noch mit den vorherigen übereinstimmt, so dass die Erscheinung auch für diejenigen interessant bleibt, die den Vorabdruck schon kennen.

Sebastian Creutz

Links:
"Tod eines Kritikers" erscheint im Suhrkamp-Verlag
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