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Wunschkonzert

"An einem beliebigen Tag kommt Fräulein Rasch nach der Arbeit, nach dem Einkaufen, gegen 18.30 Uhr nach Hause. Sie kommt in die Wohnung, sucht nach ihrer Post, findet nur eine Reklameschrift..." so der Beginn von Franz Xaver Kroetz' Stück Wunschkonzert. Und so geht es auch weiter.

Wunschkonzert ist ein stummer Monolog über den Selbstmord einer alleinstehenden Frau. Was für das Theater, dessen Herz die Sprache ist, seltsam klingt und die Befürchtung von Langeweile heraufbeschwört, macht Thomas Ostermeier an der Schaubühne zu einem dichten, beklemmenden Theaterabend.

Anne Tismer ist Fräulein Rasch, die nach Hause kommt in ein grandios detailliertes Bühnenbild von Jan Pappelbaum, der eine Wohnung wie aus dem Katalog in die Schaubühne gebaut hat. Programmheft und Fotoausstellung im Foyer geben die Richtung vor, und auch das Nachbarhaus vor dem Fenster bestätigt die schnelle Assoziation: Fräulein Rasch wohnt in einer anonymen Hochhaus-Siedlung, wahrscheinlich auch noch Plattenbau. Sie wohnt allein. Womit beschäftigt sich die junge Frau, wenn sie nach Hause kommt? Sie hört das Wunschkonzert und betäubt den Schmerz der Einsamkeit mit Unterhaltungs-Musik aus dem Radio. Wie sie sich draußen nicht wehrt, so nimmt sie auch drinnen nur hin: Das Programm wird nicht geändert.

Fräulein Rasch räumt auf und macht sauber, als könne sie so auch ihr Leben in Ordnung bringen. Alles wird ordentlich weggepackt und aufgehängt, nichs steht herum bei Fräulein Rasch, ständig wird geradegerückt und abgewischt. Später spielt sie am Computer Solitär. Sie hält sich an ihrer Ordnung fest, wenn schon in ihrem Leben nichts in Ordnung ist und auch draußen sich zurecht zu finden nicht leichter wird. Es ist alles, was sie hat.

So sitzt das Publikum zwei Stunden und amüsiert sich über die Pingelichkeit des Fräulein Rasch und über ihre Eigenheiten, von Anne Tismer wundervoll ausgespielt. Wie sie die Salatkräuter auf dem Balkon mit der Schere schneidet. Wie sie überall mit der Hand die Fusseln vertreibt. Wie sie ihre Brotscheibe in mundgerechte Quadrate zerteilt. Wie sie jedes Mal wenn sie an der Heizung vorbeigeht nach der Wärme fühlt. Es wird viel gelacht im Zuschauerraum, aber zum Lachen ist das nicht. Es ist tieftraurig und der ständige Reflex des Heizung-Fühlens ist nicht nur ein netter Gag. Weder Ostermeier noch seine Schauspielerin machen sich lustig über ihre Figur, auf die Teile des Publikums belustigt-bedauernd von oben herabblicken, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass die dicke vierte Wand, die sie versuchen, durch Gelächter aufzubauen, nicht existiert. Vielleicht wohnen sie nicht alle in anonymen Hochhaus-Siedlungen, diese Zuschauer, und vielleicht haben sie Familie. Vielleicht sind sie aber auch einfach nur stärker als die junge Frau, die jetzt den übergelaufenen Sekt wegwischt, mit dem sie die Schlaftabletten eingenommen hat. Der Schmerz kommt nicht nur von innen. In Fräulein Rasch kann man sich wiedererkennen, und das macht Angst.

Nora Mansmann

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