X-Men 2
Die Mutanten sind unter uns. Das wissen wir Deutschen spätestens seitdem
namhafte Privatsender einige Exemplare dieser Gattung zur Prime-Time
beim öffentlichen Container-Kuscheln in die bundesbürgerlichen
Wohnstuben senden. Die Chromosomen-Monster der Zukunft
können unter anderem durch Wände gehen, Gedanken lesen, Laserstrahlen
aus ihren Augen schießen lassen, die Haut wie ein Chamäleon verändern
oder sich auch einmal zur Abwechslung selbst in Bruchteilen von Sekunden
von einem Ort zum Nächsten teleportieren.
Anno 2000 gelang den Mutanten in Bryan Singers Comic-Adaption "X Men"
erstmals der Sprung auf die große Kinoleinwand. Auch Singer, dem
Regisseur des intelligent verschachtelten Teufelsstücks "The usual
suspects", charakterisierte die Helden der legendären Marvel-Comics
nicht als strahlende Supermenschen, sondern als Diskriminierte und
Verfolgte im eigenen Land, in deren Fähigkeiten Nachbarn und Politiker
stets nur das Fremde und Bedrohliche erblickten. Im Zentrum der
Verfilmung stand die gescheiterte Männerfreundschaft zwischen dem
charismatischen Professor Xavier (Patrick Stewart), einem gelähmten
Weisen der Mutanten, der deren Kräfte zum Konstruktiven lenken will,
sowie seinem radikalen Gegenspieler Magneto (Ian McKellen), der als
Reaktion auf die Ablehnung und die Diskriminierung den totalen Krieg
gegen die Menschheit plant.
Doch im Gegensatz zu Teil eins haben sich die Gewichtungen deutlich
verschoben. War anno 2000 der Wählerstimmen-heischende und
Stammtischparolen deklamierende Senator Kelly (Bruce Davison), der wie
in einer düsteren Vorahnung auf die tatsächlichen innenpolitischen
Ereignisse in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September eine
Registrierungspflicht für Mutanten forderte, eher als kuriose Figur
angelegt (die ja dann auch ein recht unrühmliches Ende nahm), so erhält
"X-Men 2" mit dem ehemaligen Ur-Hannibal-Lector Brian Cox einen
wirklich profilierten Schurkendarsteller an der Menschenfront. Diesen
General Stryker treibt ein noch viel intensiverer, persönlicher
motivierter Hass an als den schmierigen, aalglatten Senator, der die
öffentliche Hetze und das Apartheidsgebaren nur als Mittel zum Zweck auf
der Jagd nach Wählerstimmen verwendete, und er agiert nicht auf
Pressekonferenzen oder vor Senatsausschüssen, sondern hinter den
Kulissen und zumeist direkt im Oval Office. Stryker verfolgt keine
Ideologie und kein politisches Programm, sondern seine persönliche
Vendetta mit Professor Charles Xavier, den er für die Krankheit seines
Sohnes verantwortlich macht. Strykers Hass entspringt zugleich dem
Verdrängen heftiger Schuldgefühle durch den Abwehrmechanismus der
Projektion, da er selbst einst als Militärwissenschaftler an
menschlichen Versuchskaninchen zwecks Züchtung von Supersoldaten
experimentierte.
Lag im ersten "X-Men" sowohl das darstellerische als auch das
erzählerische Schwergewicht des Films eindeutig im Duell der Antipoden
Magneto und Xavier, dargestellt von den beiden wunderbaren
Shakespeare-Mimen Ian McKellen und Patrick Stewart, so wird dieses in
"X-Men 2" eindeutig auf den geplanten Genozid Strykers an den Mutanten
verschoben. Handlungsbedingt fällt Patrick Stewarts darstellerische
Präsenz dürftiger aus als noch im ersten Teil, wird doch der Philanthrop
und programmatische Gutmensch recht bald nach Beginn des Films von
Stryker entführt, um seine mentalen Fähigkeiten und die seiner
Gedankenkontrollmaschinerie Cerebro gegen die Mutanten einzusetzen.
Xaviers Gefangenschaft und seine Unterwerfung unter eine diabolische
Gedankenkontrolle bieten dem großartigen Mimen Patrick Stewart leider
nur wenig darstellerischen Raum und lassen daher die Figur des
humanistisch gebildeten Mutanten-Chefs insgesamt etwas in den
Hintergrund treten.
Vielmehr entbrennt der Entscheidungskampf um das Wohl und Wehe der
Spezies zwischen General Stryker und den verbliebenen X-Men von Xaviers
Begabtenschule, die sich in der Not mit ihrem bisherigen Gegenspieler
Magneto und dessen blauhäutig-gestaltwandelnder rechten Hand Mystique
zusammenraufen müssen, um der Bedrohung Herr zu werden. Bryan Singer
wartet hierbei wieder mit der gleichen Riege namhafter Darsteller wie im
ersten Teil auf, angefangen über den inzwischen sowohl als subtiler
Charakterdarsteller als auch als purer Testosteronbolzen etablierten
Hugh Jackman in der Rolle des krallenbewehrten Kämpfers Wolverine über
die mittlerweile Oscar-prämierte Halle Berry als Storm, die wie immer
faszinierende Famke Janssen als Jane Grey bis zur auf bezaubernde Weise
erwachsen gewordenen Anna Paquin als Rogue. James Marsden muss sich als
Cyclops aus den gleichen inhaltlichen Gründen wie Patrick Stewart mit
deutlich weniger Szenen als im ersten Teil begnügen. Neu im Sortiment
des Mutantenstadls sind dafür Alan Cumming mit einer tricktechnisch
begnadet umgesetzten Performance als Teleporter Nightcrawler, der sein
Talent bislang unter dem bürgerlichen Namen Erik Wagner in einem
deutschen Zirkus zur Schau stellte (Alan Cumming spricht in der
Originalversion von "X-Men 2" auch an vielen Stellen deutsch), sowie
Powerfrau Kelly Hu, die als kampfstarke Sparringspartnerin für
Krallenmann Wolverine der Comicsaga einen markanten Schuss Martial-Arts
fernöstlicher Prägung verpasst.
Faszinierendste Figur bleiben der schillernde Erik Lehnsherr alias
Magneto, der noch immer getrieben vom traumatischen Verlust seiner
Eltern in einem deutschen Konzentrationslager dem Widerstandskampf der
Mutanten gegen die Pogrompläne der Hardliner und Falken unter den
Menschen jene übermenschliche Diktion verleiht, die sich Stan Lee bei
der Erschaffung seiner Comicfiguren in den 60er Jahren sicherlich
erträumt hat, sowie Krallenmann Wolverine, der einsame Wolf mit
Clint-Eastwood-Charme, der beim Kampf gegen die Schergen General
Strykers auch mit der eigenen, bislang unbekannten Vergangenheit
konfrontiert wird.
Das inzwischen etwas abgenutzte Motiv von den Metamorphosen des Körpers
während der Pubertät, dem Sich-fremd-fühlen im eigenen Körper beim
Erwachsenwerden reflektieren diesmal Aaron Stanford als Pyro und Shawn
Ashmore als Iceman. Ein wenig vermisst man die romantischen Funken, die
im ersten Teil zwischen Rogue und Wolverine flogen – der anrührende,
scheue Teenager und der zynischer Berserker mit den Stahlkrallen
bildeten ein ideales Kontrast-Identifikationspaar. Auch das humorvolle
Buddy-Geplänkel der beiden um die Gunst der Telekinetin Jane Grey
buhlenden Mutanten Wolverine und Cyclops wurde zugunsten der straffen
Inszenierung größtenteils aufgegeben.
"X-Men 2" ist deutlich action-orientierter ausgefallen, enthält mehr
Kämpfe, mehr Schauplätze und spricht insgesamt eine wesentlich rauere
Sprache als sein Vorgänger. Begann der erste Film mit der Szene in einem
Konzentrationslager des Jahres 1944 noch mit einem ungewöhnlich
düsteren, überhaupt nicht comic-typischen Prolog, so eröffnet "X-Men 2"
mit einer furiosen Action-Sequenz im Weißen Haus, die gleich die
Marschrichtung für den übrigen Film vorgibt. Wenig ist übrig geblieben
von den gedankenüberfrachteten Dialogen und Phrasen über Toleranz,
Akzeptanz und Humanität – wozu auch, die Fronten sind schließlich
geklärt. Mehr Popcorn-Entertainment, Action und spektakuläre
Special-Effects, weniger Seifenoper-Appeal und Pathos-Quotient, ohne
jedoch in die Minus-IQ-Sphären anderer Comicverfilmungen vom Schlage
eines "Daredevil" zu verfallen – Bryan Singers Konzeption ging lückenlos
auf.
Als Verfilmung einer Graphic Novel ist "X-Men 2" ein im besten
Sinne grafisches Werk, auf das Wesentliche konzentriert sowohl in der
Figurenzeichnung als auch in der Choreografie der Actionszenen, in
Psychologie und Politik. Besonders raffiniert sind die Farben, sie
wirken wie schockgefrorenes Technicolor: Eine kalte Pracht durchweht
diese Fortsetzung, die bei aller Betonung des Kinetischen auf eine
zutiefst romantische Klimax hinausläuft. Dass der rasante Showdown von
"X-Men 2" im exakt gleichen Cliffhanger mündet wie einst "Star Trek 2 –
Wrath of Khan" schürt jetzt bereits die Vorfreude auf den nächsten Teil
der Serie.
Johannes Pietsch
Link:
Offizielle Website
Kaufempfehlungen:
[DVD] X-Men 1.5 (X-Treme Edition, 2 DVDs) bei Amazon bestellen
[DVD] X-Men 2 – Special Edition (2 DVDs) bei Amazon vorbestellen
|
frisch und neu
|
 |
|