Wenn die Haare zu Berge stehen

Über Auswüchse der Eitelkeit auf beiden Seiten der Geschlechtergrenze

Ja, ich bekenne mich schuldig. Ich diskriminiere – zur Abwechslung – mal die Frauen und nicht wie sonst die so gescholtenen Männer. Denn während mich Exzesse der Eitelkeiten bei Frauen zu spöttischen Bemerkungen und unangebrachten Vergleichen mit dem Tierreich verleiten, finde ich dasselbe Verhalten bei Männern oft ganz hinreißend.

Ich war gerade 15, als ich zum ersten Mal mit extremeren Auswüchsen weiblicher Eitelkeit konfrontiert wurde. Bis dahin hatte ich zwar Wert auf meine Klamotten gelegt, mir die Beine rasiert und gelegentlich ein wenig Farbe auf Wimpern (grün, es war Ende der 80er) und Wangen gemalt, aber besonders zeitaufwendig war das alles nicht.

Ohne Bart fünf Jahre jünger...?
Foto: sxc.hu
Dann aber kam ich als Austauschschülerin für ein Jahr in den Mittleren Westen der USA, der damals den weltweit höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Haarspray aufweisen konnte. Die hochtoupierten und festgesprayten Haarberge, mit denen mir meine Mitschülerinnen die Sicht auf die Tafel versperrten, lassen Ivana Trump mitleiderregend flachhaarig aussehen. Aber natürlich konnte auch das Gesicht unter der Haarpracht an Künstlichkeit locker mithalten.

Meine Mitschülerinnen waren echte Schichtarbeiter – sowohl was das Auftragen diverser Concealer und Cremes betraf, als auch in Bezug auf den straff organisierten Aufenthalt vor der begrenzten Spiegelfläche auf der Schultoilette. Seither weiß ich auch, dass die Vorbereitungen für ein Spiel der High School Basketball-Frauenmannschaft sehr zeitaufwendig sind, aber nicht etwa Aufwärmtraining und Taktikabsprachen beinhalten, sondern das Auftragen wasserfester Mascara (der Schweiß!) und noch viel mehr Haarspray. Ich arme ungeschminkte Halbwilde musste mich immer schon zuhause umziehen, um dem qualvollen Erstickungstod in der Umkleide zu entgehen.

Als ich nach Deutschland zurückkehrte, hatte mein bester Schulfreund gerade sein Coming-Out als schwule Diva, und ich bewegte mich fortan in Kreisen, die statt Haarspray zwar eher Gel benutzten, in Sachen Restaurationsaufwand mit den amerikanischen Schönheitsköniginnen aber durchaus mithalten konnten. Nur die ganz normalen Männer sollten noch etwa zehn Jahre brauchen, bis auch bei ihnen Eitelkeit salonfähig wurde.

Da ich mich mit der neuen Spezies der Metrosexuellen bekanntlich nicht so recht anfreunden konnte, bin ich bis heute immer wieder überrascht und entzückt davon, welche Formen männliche Eitelkeit annehmen kann. Einige Beispiele gefällig? Ein guter Freund von mir ist an den Schläfen künstlich ergraut, weil ihn das in seinen Augen reifer, männlicher und seriöser wirken läßt. Den Spitznamen Babyface wird er vermutlich trotzdem noch mit 70 tragen.

Ein anderer Freund hat wie die meisten eher das gegenteilige Problem: maßlose Angst vor dem Alter. Eine Angst übrigens, die man in unserer schnellebigen Zeit schon mit 35 statt mit 50 kultiviert. Also will er sein kleines Kinnbärtchen möglichst lange stehenlassen, um mit dem Abnehmen des Bartes zu passender Gelegenheit gleich fünf Jahre jünger zu erscheinen.

Wirklich hingerissen war ich allerdings, als mir eben jener Freund gestand, dass er nicht nur langfristig plant, sondern auch im Alltag Anflügen von Eitelkeit nachgibt, die ich so bislang nicht für möglich gehalten hätte. Seit seine Zahnärztin eine neue und offensichtlich sehr attraktive Helferin eingestellt hat, geht er vor jedem Zahnarzttermin zum Friseur, um sich auf dem Stuhl von seiner besten Seite zu präsentieren. Mir ist zwar schleierhaft, was das nützen soll, wenn die Angebetete im nächsten Moment im Rachenraum rumstochern muß, um den Zahnstein zu entfernen und gleichzeitig den Speichel abzusaugen, aber ich muss mit Kritik an dieser Stelle vorsichtig sein.

Schließlich hab ich mir nur drei Tage nach einer schweren Bauch-OP die Haare vom Krankenhausfriseur waschen lassen, um den bezaubernden Pfleger von der Nachtschicht zu beeindrucken. Dabei hatte ich auch keinen Gedanken daran verschwendet, wie sich die Schläuche, die mir noch immer aus der Bauchdecke ragten, auf meine Attraktivität auswirken würden.

Lyssa

Wer noch mehr von Lyssa lesen möchte, kann ihr tägliches Weblog lesen:
http://www.lyssas-lounge.de/peepshow

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