Die Zweisamkeitsunverträglichkeit

Warum Nähe nicht gleich Nähe ist

Wieviel muss ein geliebter Mensch vom Alltag des anderen wissen? Wieviel kann man preisgeben? Und warum ist es besser, die Badezimmertür unter allen Umständen geschlossen zu halten, außer man hat Sex unter der Dusche?

Es gibt zwei sehr unterschiedliche Arten von Menschen, und es wäre für beide Gruppen besser, würden sie gar nicht erst zusammenkommen. Und das bezieht sich nicht nur auf engere Paarbindungen, sondern auch auf Freundschaften, ja fast schon auf lockere Kontakte. Die Rede ist von den Zweisamen und den Einsamen.

Die Zweisamen streben danach, möglichst viel zu teilen, am liebsten jede Minute ihres Alltags, der ihnen allein verbracht schnell öde und sinnlos erscheint. Die Einsamen hingegen sind glücklich allein. Sie mögen Menschen, sie treffen gerne Freunde oder Geliebte, sie können sogar eine Wohnung mit ihnen teilen, aber bitte alles nur wohldosiert. Die Zwischenzeit verbringen sie lieber mit sich allein. Aber ohne sich dabei im negativen Sinne einsam zu fühlen.

Es liegt auf der Hand, dass Vertreter beider Gruppen nur unter größten Schwierigkeiten dauerhaft miteinander glücklich werden. Wenn überhaupt. Aber da Menschen scheinbar sowieso nur unter großen Schwierigkeiten ein gemeinsames Leben führen können, probieren sie es halt immer wieder. Und scheitern grandios am Alltag.

Der Einsame behält die Banalität seines Alltags nämlich gern für sich. Er kann ausgiebig von besonderen Vorkommnissen berichten, hält die täglichen Details aber für nicht weiter erwähnenswert. Ganz anders der Zweisame. Er referiert gerne ausgiebig über alles vom Aufstehen (wie lange hat’s gedauert, was lief im Radio), übers Essen bis hin zu Einkäufen im Supermarkt oder Telefonaten mit Mutti.

Das, so glaubt er, fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Nähe. Und wer da nicht mitspielt, behandelt den anderen schlecht, hält ihn fern aus seinem Leben. Das, so denkt der Einsame, ist entschieden zuviel der Nähe und treibt den Empfänger des ungehemmten Detailflusses binnen kürzester Zeit in den Wahnsinn und zurück in die selbstgewählte Isolation. Er möchte einfach nur in Ruhe sein Essen genießen, ohne anschließend über die genaue Speisefolge referieren zu müssen.

Ich bin ganz eindeutig eine Einsame und an meiner Zweisamkeitsunverträglichkeit sind schon einige Beziehungen gescheitert. Es ist ja nicht so, daß mich der Alltag eines nahestehenden Menschen nicht interessiert. Aber doch nur der Teil, der auch für ihn eine Bedeutung hat und nicht jedes verdammte Detail seines eintönigen Tages. Ich brauche keine Verdoppelung meiner eigenen hirnerweichenden Monotonie. Das ist in meinen Augen keine Nähe, sondern Qual.

Deshalb will ich auch nicht wissen, ob er bei Aldi war oder nicht. Außer bei Aldi gibt es wieder Baumkuchen, oder er hat auf dem Weg dorthin eine Katze überfahren. Und ich will auch nicht wissen, ob seine Mutter schon wieder angerufen hat, außer er hat es endlich geschafft ihr zu sagen, daß er nicht noch mehr Bayern-München-Bettwäsche braucht (»aber Junge, die hast du doch früher so gemocht«).

Am schlimmsten aber ist die Form erzwungener Zweisamkeit, bei der nicht nur jedes Detail berichtet, sondern auch gleiche eine minutiöse innere Bestandsaufnahme mitgeliefert wird, ganz egal ob sie nun physischer oder psychischer Art ist. Da wird jede minimale Stimmungsschwankung verzeichnet (»es macht mich ganz traurig, wenn Herr Müller aus dem dritten Stock im Fahrstuhl nicht grüßt«) und genüßlich Körperliches ausgewalzt, das besser privat geblieben wäre (»diese Blähungen...«). Die Beziehung als psychosomatische Intensivstation.

Eine Freundin von mir von mir hat mal gesagt, dass man erst wirkliche Nähe und Intimität mit einem geliebten Menschen erreicht hat, wenn man ohne Bedenken in Gegenwart des anderen furzen kann. Dem muss ich entschieden widersprechen. Würde ich mehr von den Ausscheidungen meiner Mitmenschen wissen wollen, wäre ich Proktologin oder Mutter geworden. So aber lebe ich ein privilegiertes Leben ohne fremde Ausscheidungen und würde das auch gerne beibehalten. Mögen sich die Zweisamen dieser Welt vereinigen. Ich liebe eben anders.

Lyssa

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http://www.lyssas-lounge.de/peepshow

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