Pornographie mit PutzkolonneDas neue Reinheitsgebot in der ErwachsenenabteilungFrüher mal war die Beschäftigung mit Sex irgendwie anrüchig, eine Sache für Schmuddelkinder und gefallene Mädchen. Heute erstrahlt die Sexindustrie frisch geweißt, und der Gang ins Striplokal gehört zum gesellschaftlichen Erlebniskanon wie der Besuch im Theater. Auf der Strecke blieb dabei die Erotik. Man kann es auf meine Sozialisation schieben, auf einen Fehler in meiner mentalen Verdrahtung oder meinetwegen auch auf die Erbsünde, aber: Ich mag Schmuddelkram. Nicht so sehr, dass ich mir meine Zeiten als Pornokorrekteuse zurückwünsche, aber doch genug, um Bildern und Texten mehrere Regalmeter zu widmen. Was ich nicht mag, ist Pornographie in ihrer aktuellen Ausprägung.
Die Sprache dieser Romane war fragwürdig, der Inhalt nicht mal mehr das. Autoren mit lustigen Pseudonymen entwickelten reichlich durchsichtige Plots, um bis dato anständigen Frauen in noch durchsichtigeren Hemdchen allerlei widrige Umstände angedeihen zu lassen, durch die sie unweigerlich auf die schiefe Bahn gerieten. Dort angekommen erwartete die Frauen ein Schicksal, das laut Aussage meiner Oma schlimmer als der Tod war, bei dem sie aber erstaunlich viel Spaß hatten. Sex gab es reichlich und in weitaus wüsteren Ausprägungen, als mein pubertierendes Hirn sich das hätte vorstellen können. So etwas prägt natürlich. Genau wie die ersten Ausflüge über die Reeperbahn als frischgebackene Abiturientin. Damals gab es weder Institutionen wie das Dollhouse, in denen Wert auf Choreographie gelegt wurde, noch anständige Sexshops mit rosafarbener Seidenpapier-Deko in den Schaufenstern. Die Reeperbahn war zwar längst nicht mehr so wild und gefährlich wie zehn Jahre zuvor, aber sie war auch noch weit entfernt vom heutigen Sex-Disneyland für Pauschaltouristen. Pornographie und das Geschäft mit dem Sex sind dank RTL2 und Hausfrauen-Strip-Aerobics in jedem Fitnessstudio längst gesellschaftsfähig geworden. »Ey Klaus, wat macht ihr denn am Sonntach?« – »Da bin ich mitte Manuela, ihren Chef und dem seine Frau auffe Sexmesse. Die Manu braucht noch wat Hübschet für drunter und nen neuen Vibbi, bevor wir dat nächste Mal innen Swingaclub gehen.« Der Stripper zum 30. Geburtstag ist auch für Klosterschülerinnen heute so selbstverständlich wie die Lackunterwäsche für abenteuerlustige Vorstadtsekretärinnen.
Strip-Schuppen wie das Dollhouse sind neuerdings so gut ausgeleuchtet wie eine Zahnarztpraxis, die Frauen sind makellos und scheinen alle denselben Chirurgen zu haben, und die Shows sind ebenso sauber wie das gesamte Ambiente, wenn man den Besoffenen vor der Tür mal ignoriert. Aber die Übungen der minimal bekleideten Frauen, das Beckenkreisen und Brüsteschütteln ist allenfalls noch unter sportwissenschaftlichen Aspekten interessant, mit Erotik hat das wenig zu tun. Zumindest nicht mit dem, was ich unter Erotik verstehe. Aber ich bin, wenn ich nach oben verweisen darf, durchaus bereit, mich als erotically challenged zu verstehen. Ich finde es befreiend, wenn Menschen offen über Sex reden. Der eigentliche Akt aber darf ruhig weiter nach verbotenen Früchten schmecken und ein wenig im Halbdunkel liegen. Die Reeperbahn sollte nicht von Scheinwerfern, sondern von einem riesigen roten Tabu-Schild beleuchtet werden, das reichlich Raum für dunkle Ecken lässt. Nicht der Tanz im grellen Neonlicht ist erotisch, sondern das, was in den schattigen Hauseingängen neben den Table-Dance-Bars passiert. Erotik hat immer auch eine schmutzige, verruchte Seite und die macht sie erst richtig verlockend. Finden zumindest wir Schmuddelkinder. Lyssa Wer noch mehr von Lyssa lesen möchte, kann ihr tägliches Weblog lesen: |
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