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Scheinheilige neue Silikonwelt

Es ist schwierig, über die Auswüchse unseres Schönheitswahns zu schreiben, ohne gleich ähnlich scheinheilig zu klingen wie Bill Clinton zum Thema außerehelicher Geschlechtsverkehr. Schließlich habe ich fast alle gängigen Diäten mehr oder weniger erfolgreich hinter mich gebracht, verfalle bei jeder unpassenden Gelegenheit in einen Kaufrausch und muss außerdem jedes Produkt haben, das mir noch glänzenderes, splissfreies Wallehaar verspricht.

Ich bin also Lichtjahre davon entfernt, als möglichst naturbelassenes Ergebnis von Gottes schöpferischem Plan in Birkenstocks über grüne Wiesen zu springen und mit seinen Lämmchen zu tollen. Nein, ich bevorzuge Lämmchen meist in einer fortgeschritteneren Bearbeitungsform, etwa als streichelweiche Hose an meinen Beinen, die übrigens mal wieder eine dieser sinnlosen Diäten vertragen könnten. Und trotzdem kann ich die Auswüchse des gesellschaftlichen Perfektionswahns nicht einfach unkommentiert übergehen. Ich meine, ich könnte schon, aber so was gibt Magengeschwüre, und die sind bekanntlich schlecht für die innere Schönheit.

Wir haben uns nämlich schon viel zu sehr daran gewöhnt, dass die Brüste hoffnungsfroher Jungschauspielerinnen mit jedem Sprung in die nächste Gehaltsklasse ebenso sprunghaft eine weitere BH-Größe zu Verpackungszwecken erfordern und außerdem gleichsam eine Karriereleiter in Richtung Kinn erklimmen. Und neuerdings jubeln die Klatschblätter sogar ausdrücklich, wenn eine der künstlich Perfektionierten endlich nicht mehr leugnet "klitzekleine" Eingriffe überstanden zu haben, sondern wie im Fall der superblonden holländischen Herrin über die Dominosteine ganz offen dazu steht.

Die Konsequenz ist, dass nicht mehr nur knapp volljährige Millionärstöchter aus fernen Galaxien Lippen haben, die jederzeit als pinkfarbene Variante eines Ersatzreifens durchgehen würden und dass Schauspielerinnen um die Vierzig einen neuen Pass beantragen müssen, weil sie ihrem erst wenige Jahre alten Foto nicht mehr im geringsten ähneln. ("Hach Herzchen, das muss die neue Frisur sein, die meine Nase plötzlich so spitz und die Wangenknochen so hoch erscheinen lässt.")

Nein, inzwischen erreicht dieser manische Schöpfungsdrang auch mein persönliches Umfeld. So stolpert seit wenigen Wochen etwa die Putzfrau meiner Eltern über ihren Eimer, weil die neuen Brüste ("ausse Klinik wat man imma im Fernsehen sieht") den Blick nach unten versperren. Und am Wochenende tauchte ein guter schwuler Freund, angeblich ja die Vorreiter in Trendfragen, bei mir auf und warf mir einen Katalog in den Schoß, bevor er die mitgebrachte Flasche Prosecco öffnete.

Mir schwante Fürchterliches als ich darauf den Namen einer Beauty-Klinik las, schließlich war Patrick vor Jahren der erste, der sich imaginäres Fett mit einem Gesamtgewicht von unter 200 Gramm vom Torso saugen ließ, um sich künftig in der Sauna ausziehen zu können, ohne vor Scham im römischen Dampfbad zu verdunsten. Meine übelsten Vorahnungen wurden noch übertroffen, als er den Prospekt in der Mitte aufschlug, auf ein künstlerisch wertloses Arrangement glibberiger Silikonkissen deutete und stolz sagte: "Da, mein neuer Bauch."

Es übersteigt meine bescheidene Vorstellungskraft, wie aus den Kissen je ein ansehnlicher Männerbauch werden soll. Noch weniger aber kann ich mir vorstellen, warum ein gutaussehender, trainierter Mann um die 30 auf jeden Fall diesen Sondermüll unter der Haut haben will. Und am allerwenigsten möchte ich mir vorstellen, wie es sich anfühlen muss, mit einem Mann im Bett zu sein, der das Äquivalent zu Ramona Drews Oberweite strategisch geschickt im Bauchbereich plaziert hat.

Ganz abgesehen davon, dass so ein Sixpack in erotischer Hinsicht völlig überbewertet wird, lässt diese Entwicklung Düsteres für unsere Zukunft ahnen. In spätestens zehn Jahren werde ich wohl eine Selbsthilfekuschelgruppe für die letzten naturspeckbehafteten, kleinbrüstigen Silikonabstinenzler gründen müssen. Wir werden uns unter dem Symbol eines lammwollweißen Kreuzes versammeln, gemeinsam kalorienreiche Nahrungsmittel vertilgen und unter der Hand die Adressen der wenigen Läden austauschen, die noch BHs in den Größen A und B führen.

Lyssa

Wer nicht bis zum nächsten Dienstag warten kann, kann täglich Lyssas Tagebuch lesen:
http://www.lyssas-lounge.de/peepshow

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