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Elvis in Lack und LederIn einer Gesellschaft, in der Individualität das höchste Ziel ist, dem jede freie Minute und so manche freie Körperpartie geopfert wird, muss auch die Hochzeit zwischen zwei Individualisten einen unverwechselbaren Charakter haben. Eigensinn seitens des Gastes wird da hingegen gar nicht gern gesehen. Heutzutage soll das Heiraten ziemlich aus der Mode gekommen sein, behaupten zumindest die Bundesstatistiker. Aber diese Erkenntnis scheint nicht bis in mein erweitertes Umfeld vorgedrungen zu sein, denn dort hat man offensichtlich beschlossen, das Jahr 2004 zum Jahr der Hochzeit zu erklären und den diversen örtlichen Hochzeitsmessen und -zuarbeitern steigende Umsätze zu bescheren.
Beim Heiraten wird nämlich neuerdings nach dem Motto »anything goes« verfahren, was keinesfalls bedeutet, dass man als Gast auflaufen kann wie man will. Vielmehr darf das Brautpaar bei der Planung verfahren wie es will und seinen Gästen dabei allerhand zumuten. Alberne Spiele zur Erbauung schwer angetrunkener Großtanten nicht mal inbegriffen. Die Einladungskarte gibt erste Anhaltungspunkte darüber, welche Art von Inszenierung in einigen Wochen oder Monaten droht. Natürlich gibt es sie noch, die klassischen Einladungen in Eierschalenweiß, in denen die Eltern in Schreibschrift ihre Freude über die Vermählung der Kinder zum Ausdruck bringen – was meist nicht mal gelogen ist, denn »die Kinder« sind heute im Schnitt um die 30 und damit in den Augen der geplagten Eltern längst überfällig. Bei diesen cremefarbenen Karten kann man sich entspannt zurücklehnen, denn ähnlich traditionsverhaftet wird auch die Feier ablaufen. Variationen kann man höchstens beim Essen und beim Dresscode erwarten. Eine schlichte Karte (Restaurant, vier Gänge) bedeutet, dass ein nettes Kostüm genügt, beim handgeschöpften Büttenpapier mit schwerem Golddruck (Wasserschloss, sechs Gänge) muss man sich schon im Smoking bzw. langen Kleid nebst Hut für die Kirche aus dem geliehenen Mercedes schälen.
Verzichten muss ich auf den schwulen Mann an meiner Seite schon bei der Hochzeit, zu der per schwarzer Lackkarte mit schnörkeliger Silberschrift eingeladen wurde und die verdächtig nach Patchouli roch. Die Einladenden möchten die Schmerzen, die eine lebenslange Verbindung so mit sich bringt, lieber schon vorziehen und feiern in einem gut ausgestatteten SM-Club. Als Geschenk wünscht man sich einen Zuschuss zur neuen Streckbank und der Dresscode sieht das branchenübliche Fetischoutfit vor. Ich werde den Verdacht nicht los, dass finanzielle Erwägungen eine gewisse Rolle bei der Planung dieser Feier gespielt haben. Das Buffet kann nämlich ruhig etwas kleiner ausfallen, wenn ein beträchtlicher Teil der Gäste im Korsett erscheint, was allenfalls noch Platz für flaches Atmen, nicht aber für ausführliches Tafeln lässt. Heiratet heute eigentlich niemand mehr heimlich in Gretna Green oder in Dänemark? Oder meinetwegen auch in ein schmales Tuch gehüllt nachts am Strand von Goa? Lyssa Wer nicht bis zum nächsten Dienstag warten kann, kann täglich Lyssas Tagebuch lesen: |
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