Die Wundertüten07.07.2005 Was schwarze Plastiktüten über ihre Träger sagenSo etwas wie eine wirklich neutrale Verpackung gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, sollte man Sammlereditionspuppen und Fernsehzeitschriften, nicht aber Sexspielzeuge darin verpacken. Einkaufsbummel im Sexshop sind aller fortschreitenden gesellschaftlichen Offenheit zum Trotz immer noch eine Angelegenheit, die es mit größtmöglicher Diskretion zu behandeln gilt. Aus diesem Grund ignorieren die meisten Menschen ihre Arbeitskollegen geflissentlich, sollten sie sie dank einer gehässigen Schicksalswendung im Sexshop treffen (im Zweifel haben beide gerade einen längeren Anfahrtsweg in Kauf genommen, um bloß nicht vor Ort einkaufen zu gehen und dabei von Arbeitskollegen ertappt zu werden). Aus eben diesem Grund erscheint auf der Kreditkartenabrechnung nie »Sexytoys Pornowunderland«, sondern eher die Karl Krause AG oder etwas ähnlich Unverfängliches.
In der Fußgängerzone rund um den Düsseldorfer Hauptbahnhof mag das auch funktionieren, auf der Hamburger Reeperbahn aber wird diese prinzipiell kundenfreundliche Idee schnell ad absurdum geführt. Da sich hinter jeder dritten Tür ein Sexshop verbirgt und jeder dieser Läden schwarze Plastiktüten an seine Kunden verteilt, ist dem regelmäßigen Kiezbesucher längst klar, was es mit all diesen uniformiert wirkenden Plastiktütenträgern auf sich hat. Man kann sich damit allerdings an lauen Sommerabenden hervorragend amüsieren, indem man mit der besten Freundin und regelmäßigem Cocktailnachschub in einem Straßencafé sitzt und Vermutungen über den Inhalt all der schwarzen Tüten anstellt (eine Freundin, die zu Studienzeiten nachts hinter der Kasse eines mittelgroßen Zubehörhändlers saß, behauptet: je biederer das Aussehen und / oder je süddeutscher der Dialekt, desto schmutziger der Tüteninhalt – vor allem Niederbayern bringen demnach gerne Latexmasken von der Hamburg-Dienstreise mit nach Hause).
Zumindest dachte ich immer, daß mir der Schriftzug auf der Tüte ziemlich egal sei und hatte dabei Namen wie »Boutique Bizarre« vor Augen. Dann aber ging ich letzte Woche in den Schmutzshop meines Vertrauens und kaufte einen neuen Vibrator. Beglückt nahm ich die Tüte entgegen und rannte zur Bushaltestelle, ohne einen Gedanken an Tütenaufdrucke zu verschwenden. Der Bus ließ sich jedoch Zeit und während ich in einen kleinen Menschenauflauf eingekeilt wartete, fiel mein Blick auf das weiße Stück Plastik: »Erikas Puppenstübchen« stand da in großen Lettern über einer niedlichen Babypuppenzeichnung, und ich wollte augenblicklich sterben. Erikas Puppenstübchen. Das klingt nach Sofaschonbezügen und Häkeldeckchen, nach Bettjäckchen und Hörzu-Abo, nach dem Modell »Paul« im Konfirmationsanzug statt nach dem garantiert wasserdichten Modell »Layla« mit stufenlos regulierbarer Vibrationsgeschwindigkeit. Ich fühlte mich grundlegend mißverstanden und verspürte den unsinnigen Drang, aus dem vollbesetzten Bus zu springen mit den Worten »entschuldigen Sie, ich hab vergessen, Batterien für meinen neuen Vibrator zu kaufen.« Ich will die guten alten schwarzen Plastiktüten zurück. Lyssa Wer noch mehr von Lyssa lesen möchte, kann ihr tägliches Weblog lesen: |
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